Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Die Farbpalette der Dichtung (Teil 7)

Die Farbpalette der Dichtung
Eine kleine koloristische Poetik

Teil 6 siehe hier

In der Gebrauchssprache ist Blau vielfach präsent, klischeehaft verwendet als Farbe des Himmels, des Meeres, aber auch in Redensarten mit übertragener (uneigentlicher) Bedeutung – «mit einem blauen Auge davonkommen», «blaumachen», «blau sein» (für betrunken sein), der «blaue Brief» (als Kündigungsschreiben), «ins Blaue raten», «das Blaue herunterlügen» usf. – In auffälligem Kontrast dazu spielt Blau in der Alltagswelt wie auch in der Natur kaum eine Rolle: Blaue Pflanzen (Blüten) sind Ausnahmeerscheinungen; blaue Tiere (Fell, Haut) gibt es nicht; blaue Kleidung, blaue Möbel, blaue Autos finden kaum Gefallen, sind nichtgefragt.
In literarischen, vorab in lyrischen Texten nimmt Blau dagegen eine Vorrangstellung ein. Barthold Hinrich Brockes, herausragender Lyriker des deutschen Barock, hat diese Vorrangstellung in einer versifizierten «Fabel» (aus dem Band «Irdisches Vergnügen in Gott», 1738) auf staunenswerte Weise festgeschrieben, indem er die Erde in einen Dialog mit dem Himmel eintreten und sie solcherart über Eigenschaften und Zugehörigkeiten der Farbe Blau räsonieren lässt; hier die Eingangsstrophe des Gedichts:

Die Erde sahe jüngst der Lüfte schönes Blau,
Mit einem kleinen Neid, halb eifersüchtig an,
Und sprach: stoltzire nur, mit deinem blauen Licht,
So übermüthig nicht,
Weil ich so wohl, als du, dergleichen zeigen kann.
Schau mein Ultramarin; betrachte, wie der Pfau
Im blauen Schimmer prangt; schau den Sapphir. Vor allen
Kann ich dir der Gentianellen
Fast blendend Blau entgegen stellen.
Ihr voller Glantz muß dir,
Trotz deiner blauen Zier,
Noch mehr, als du dir selbst gefallen kannst, gefallen.

… Fortsetzung am 22.1.2025 …

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00