Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Die Farbpalette der Dichtung (Teil 8)

Die Farbpalette der Dichtung
Eine kleine koloristische Poetik

Teil 7 siehe hier

Mit und seit Novalis ist die «blaue Blume» (der Romantik) sprichwörtlich geworden, sie evoziert zeichenhaft Sehnsucht, ideale Liebe, aber auch Magie und Poesie. Die Dichtung hat die blaue Blume als Motiv und als Symbol – ebenso wie Blau als Farbe – auf mancherlei Weise präsent gehalten, sie aber auch kritisch oder parodistisch konterkariert. Oft kam es, kommt es dabei zu produktiven Verfremdungen, Blau fand, findet sich in ungewohnte, bisweilen «unmögliche» Kontexte versetzt und lässt sich assoziativ mit immer wieder neuen Bedeutungsfeldern verknüpfen.
Bis in die deutsche Nachkriegslyrik der 1950er Jahren waren direkte Anknüpfungen an die «blaue Blume» gang und gäbe, sei’s in affimativer, sei’s in abwertender oder parodistischer Absicht. Arno Holz hat um 1899/1900 als einer der ersten Modernisten explizit mit der «blauen» lyrischen Tradition gebrochen und deren Protagonisten (in seinem «Phantasus») zynisch apostrophiert: «Zwischen weggeworfnem Stullenpapier und Eierschalen | suchen sie die blaue Blume!»
​Der expressionistischen Literaturrevolution zum Trotz (oder einfach ihrer ungeachtet?) hat Georg Trakl, der als koloristischer Dichter besonders produktiv war, an der «blauen Blume» festgehalten, hat sie hochgehalten angesichts des drohenden Weltkriegs und unterm Druck der eigenen Schwermut («An Novalis», 1913):

In dunkler Erde ruht der heilige Fremdling.
Es nahm von sanftem Munde ihm die Klage der Gott,
Da er in seiner Blüte hinsank.
Eine blaue Blume
Fortlebt sein Lied im nächtlichen Haus der Schmerzen.

Novalis selbst, der vorzeitig («in seiner Blüte») Verstorbene, wird hier mit der «blauen Blume» identifiziert, die nun als dichterisches Vermächtnis – als ein «Lied» aus «sanftem Munde» – fortlebt zu jedermanns Trost «im nächtlichen Haus der Schmerzen». Hinzugefügt sei, dass auch Georg Trakl vorzeitig in «dunkler Erde» zur Ruhe kam, er starb zu Beginn des Weltkriegs – erst 27 Jahre alt – als Sanitätssoldat in Galizien.

… Fortsetzung am 9.2.2025 …

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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