Ein Barbar im Garten der Poesie
František Halas (1901–1949)
…
Ich will sein und will gelesen werden
gelobt von dem und dem
zu meinem lichten Angedenken
bis ich so weit bin
dass ich selbst mich schreibe
unglücklich glücklich
der Poesie entrissen
…
Zusammen mit Vítězslav Nezval, Vladimír Holan und dem späteren Nobelpreisträger Jaroslav Seifert bildet František Halas das herausragende literarische Quartett der historischen tschechischen Avantgarde. Mit seinen urbanen Kollegen teilte Halas seine Sympathien für die politische Linke, der er sich trotz mancherlei Querelen stets verbunden fühlte, doch als proletarischer Provinzler – er verbrachte sein erstes und sein letztes Lebensjahrzehnt im böhmisch-mährischen Hochland – unterschied er sich von ihnen durch seinen weithin unverwechselbaren, einst als «primitiv», als «chaotisch» gescholtenen Personalstil, in dem so unterschiedliche Elemente wie der schlichte Volksliedton, der klappernde Kinderreim, die Jargons der Arbeitswelt, die kühne Metaphorik des Surrealismus sowie private Neologismen gleichermassen ihren Niederschlag fanden.
Nach seiner künstlerischen Statur und seiner dichterischen Stimme wäre der in seiner Heimat hoch geschätzte, international jedoch kaum bekannte Lyriker, der auch als Essayist und Übersetzer (Michelangelo, Mickiewicz, Puschkin u.a.), als Verlagslektor und Kulturfunktionär tätig war, am ehesten mit René Char zu vergleichen – wie dieser sympathisierte und haderte Halas mit dem Kommunismus, ohne jemals deren Ideologemen zu verfallen; er war ein enthusiastischer Autodidakt, der (nach eigenem Bekunden) die Techniken dichterischen Schreibens «einfach nicht verstehen» konnte, der aber eben dieses Nichtkönnen mit untrüglich-intuitivem Sprachgefühl zu kompensieren, mit naiv-eigensinnigem Kunstverstand in ein durch und durch souveränes, mitunter grobschlächtiges poetisches Idiom überzuführen vermochte.
Als furioser Leser fühlte sich Halas im weitläufigen Gelände der Weltpoesie durchaus heimisch, freilich nicht als hegender Landschaftsgärtner, vielmehr als ein zärtlich-zorniger Barbar, der mit seinen «knirschenden und rumpelnden Versen» den Formenkanon und die Konventionen der sogenannten schönen Literatur lustvoll konterkarierte. Der Kritiker F.X. Šalda sprach in diesem Zusammenhang von Halas’ «brutaler Faust, mit der er sich zur Wirklichkeit durchschlägt», um «sie sich anzueignen». Ein Vordenker, ein Wortführer, ein Meister zu sein – nichts lag Halas ferner als dies; er begriff sich als eine von vielen Stimmen im Chor derer, die unter dem Diktat der Sprache stehen, die sich von der Sprache leiten lassen, statt sie beherrschen zu wollen: «Jeder singt anders, aber alle diese Stimmen fliessen zu einem Hymnus zusammen, der den Ruhm des Lebens und des Todes schallend preist.»
Dass Halas unter solchen Prämissen jeglichen Geniekult ablehnen musste, versteht sich von selbst – dichterisches Talent war für ihn kein individuelles Verdienst oder Vermögen, sondern ein kollektives Gut, nämlich die Gabe der Sprache, mit der gewuchert werden sollte, um ihr Überdauern, ihre immer reichere Entfaltung zu sichern. «Ein Mensch, der Verse schreibt», glaubte Halas verschiedentlich unterstreichen zu müssen, «ist doch kein geheimnisumwittertes, aus Reimen, Takten und anderen poetischen Versatzstücken zusammengesetztes Gespenst. Er ist ein Geschöpf, das genau so denkt und lebt wie ihr, und deshalb sollte euch seine menschliche Gestalt wahrhaftig am wenigsten interessieren.»
Bei Halas bleibt der Genius also keineswegs auf den hohen Ton höchster Kunst festgelegt, das geniale Sprechen ist ein unreines, prustendes, stammelndes Sprechen, nur als solches kann es – die Kinder machen es vor – authentisch, im eigentlichen Wortsinn originell sein. Stotternd spricht das Genie, und nur stotternd lässt sich über das Genie auch reden: «Ge Gen Genius unseres Landes / de deine Schwingen / sind von Trä Tränen versehrt / Geni Genius unseres Landes / lass bald erklingen / in dieser schweren Zeit dein Schwert» («Sang des Bangens», 1938). – Vítězslav Nezval, neben Halas der führende Lyriker der tschechischen Moderne, hat seinem Freund und Kollegen schon früh den schulmeisterlichen Vorwurf gemacht, er «kokettiere mit den Idioten», gebe sich dem unkontrollierten Sprachrausch hin, statt den strengen Kunstcharakter aller grossen Dichtung hochzuhalten.
Doch gerade daraus entwickelte Halas, wie er selbst in einem späten autobiographischen Versuch notierte, «eine ganz und gar eigene Poetik, die bemüht war, selbständig etwas hervorzubringen – ohne jede Rücksicht darauf, was gewünscht oder was vorgeschrieben war. Ihr Wesen ist die Liebe zum Wort, die Freude am unverbrauchten Ausdruck, das Bestreben, Subjektives zu objektivieren, der Wunsch nach grösstmöglicher Knappheit usw., usf.” Seit seinen Anfängen hat František Halas, der sich seiner theoretischen Unbedarftheit durchaus bewusst und sogar stolz darauf war, an diesen wenigen elementaren Kriterien festgehalten, hat sich weder durch die avantgardistische Lektion des Poetismus noch durch den sozialen Auftrag des Proletkults davon abbringen lassen. Dichtung brauchte nach seiner Überzeugung weder «verständlich» zu sein, noch «erläutert» zu werden, da sie doch «vielleicht das Einzige auf der Welt ist, was sich selbst erklärt»: «Ich rede mir unentwegt Poesie ein / und es ist nur ein Häufchen Adlergefieder / Hinzukommen wird ein Krümchen Glück / ein Staunen Zerknirschung / sonst nichts» («Sonst nichts», 1934).
Bei all seinem Sprachvertrauen verfiel Halas doch auch immer wieder jener fundamentalen Sprachskepsis, die man aus Hofmannsthals Chandos-Brief von 1902 und aus zahlreichen andern poetologischen Zeugnissen der europäischen Moderne kennt. Dichterisches Sprechen schien sich demnach in einem ohnmächtigen Übersetzungsakt, wenn nicht gar in schönrednerischer Lüge zu erschöpfen, so dass unversehens die Verweigerung der Rede zum dichterischen Exerzitium werden konnte: «Das Höchste, was ein Dichter erreichen kann, ist das Schweigen.»
Doch sein Schweigen blieb beredt. Rund ein Dutzend Bücher – fast ausschliesslich Lyrik – hat František Halas zu seinen Lebzeiten vorgelegt, dreimal mehr sind’s, wenn man die Privatdrucke, die Kinderbücher und die postumen Veröffentlichungen dazunimmt. Als sein «Lebensglück» bezeichnete er «die Möglichkeit, in der Muttersprache zu schreiben, die die Schönheit und die Unsterblichkeit selbst ist». An dieser Unsterblichkeit Anteil zu haben, war sein bescheidener, dabei höchst anspruchsvoller Wunsch.
Erwartung
Ich erwarte niemanden
und doch schau ich ständig zur Tür
Solltet ihr zu mir kommen
bitte tretet nicht ein
auch nicht mit verhaltenem Atem
Ich erwarte niemanden
warte nur auf mich
(aus dem Tschechischen von Felix Philipp Ingold)
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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