Elitär und populär
Rainer Maria Rilkes ambivalente Poetik
Rilke gilt als einer der «dunkelsten» Dichter der europäischen Moderne, zugleich ist er deren populärster, bis heute weithin bekanntester Vertreter. Kein anderer Autor seiner Generation ist so weitläufig zitiert, interpretiert, übersetzt und imitiert worden wie er; und kein anderer hat von stärksten Zeitgenossen und Nachfahren (unter ihnen Valéry, Gide, Zwetajewa, Jaccottet, Brodsky) ebensoviel Zuspruch erfahren wie von einfachem Publikum, von ratsuchenden Jungdichtern, von Gesellschaftsdamen und wohlhabenden Mäzenen.
Also muss Rilke «für alle etwas» in petto gehabt haben.
«Alle Dinge, an die ich mich gebe, | werden reich und geben mich aus» – so bringt er dieses ungewöhnliche Vermögen in schlichten Versen auf den Punkt («Der Dichter»). Es ist die rarste Begabung, die ein Künstler mitbringen kann – naives Lesebegehren gleichermassen zu bedienen wie anspruchsvollstes exegetisches Interesse. Und mehr als dies, denn Rilke hat sich nicht allein als Lyriker in solcher Weise behauptet, sondern auch als Prosaautor, als Essayist, als Übersetzer. Manche seiner Texte laden zu unbedarfter Sentimentalität und spontaner Identifizierung ein (Sehnsucht, Trauer, Trost-, Liebes- oder Glaubensbedürfnis), andere wiederum fordern zu aufwendiger Form- und Bedeutungsanalyse auf.
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© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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