Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Gedenkblatt für Walter Widmer (Teil 3)

Gedenkblatt für Walter Widmer
(1903-1965)
Lehrer, Kritiker, Übersetzer

Teil 2 siehe hier

Aber ich hatte Walter Widmer noch anderes, Wichtigeres zu verdanken. In seinen letzten Lebensjahren machte er sich als Literaturkritiker einen streitbaren Namen. Für die Basler «National-Zeitung» und die Hamburger «Zeit» besprach er so gut wie alle relevanten Neuerscheinungen deutschsprachiger Schriftsteller, von Klaus Nonnenmann und Herbert Heckmann bis hin zu Arno Schmidt – scharfsinnig, witzig, subjektiv, mit souveräner, bisweilen militanter Rhetorik. Für mich wurden seine Besprechungen insgesamt zu einer Art Initiation in die deutsche Gegenwartsliteratur; dazu kamen die von ihm eigens veranstalteten Lesungen in der Aula meines Gymnasiums, für die er in den frühen 1960er Jahren fast alles, was damals Rang und Namen hatte, gewinnen konnte. Unvergesslich seine lakonischen Einführungsworte, mit denen er die unterschiedlichsten Autoren in dem für ihn typischen Flüsterton begrüsste, Autoren wie Böll, Schnurre, Enzensberger, Jens, Andersch, Ingeborg Bachmann oder Otto F. Walter, die ich dort nicht nur zu hören bekam, die ich beim jeweils nachfolgenden Umtrunk in der Bar der Kunsthalle auch persönlich kennenlernte.
​So wurde Widmer – gewissermassen – zum Präzeptor meiner frühen literarischen und übersetzerischen Interessen. Auch wenn er nie mein Lehrer war, so war und blieb er für mich doch in mancherlei Hinsicht ein prägendes Vorbild. Die Erinnerung an ihn bewahre ich gern und gebe sie auch gerne weiter.

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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