Gedichte als Fremdgänger
Vom Wiederlesen eigener Texte
Teil 3 siehe hier …
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Dies trifft auch auf den nachstehenden Text zu, den ich im Antiquariat der Buchhandlung Klio am Zürcher Centralplatz beim Blättern in einem alten Heft der «Neuen Rundschau» unvermutet wiedergefunden habe. Ich hatte das Gedicht völlig vergessen, nun las ich es gleichsam zum ersten Mal, es war mir über viele Zeilen hin ganz neu, ganz fremd, ehe es mir allmählich wieder einigermassen vertraut wurde. – Das Gedicht, betitelt mit «Feuervogel», stieg sozusagen aus der Asche des Vergessens und nahm dabei erneut seine (d.h. die von mir einst vorgegebene) Form an; es lautet wie folgt, und es bedeutet, was diese oder jene Lektüre erbringt:
Feuervogel
Was Klima und Miasmen aller Art
mit dem Barock zu schaffen haben! Fragezeichen
dazu stehn vereinzelt in der Gegend –
wie rar sind sie geworden? Und wie sie sich recken!
Weiss der Teufel wo der Norden beginnt
und die ewige Wiederkehr ins Stocken kommt. Was einem
die Zeit so alles bringt? Und nimmt!
Dem Feuer dies? Der Asche das! Spielt keine Rolle, solang der sagenhafte Vogel noch nicht ausgestopft und, zur Belehrung und Abschreckung, mit seinem definitiven Namensschild versehen ist. Solang er, ganz Feuer, nicht immer wieder, im Abstand von genau einhundertdreiundneunzig, also ungefähr zweihundert Jahren, sich aus der Asche wühlt, um als eine einzige Helle abzuheben. Welche Verschwendung ins All! Was dann jeweils zurückbleibt, ist hinreichend bekannt und … aber lässt sich dennoch bloss vermuten: Die Leere vom Ei, der Umriss vom Vater, der strenge Duft von Myrrhe und guter Hoffnung. Aber wie man weiss
sind Gabe und Name immer
nicht genug ‒ sie taugen eher zum Vergessen
als zum Tragen. Dennoch beugen
sie? Dennoch bückt man sich! Und gleich noch
so ein Satz? Barock ist tatsächlich
auf Erwärmung (mehr noch: Hitze) angewiesen
um in voller Blüte unterzugehn und …
… und ein für allemal bestanden zu haben. Im lodernden Federkleid.
In taumelndem Flug. Und immer dahin
wo tief oben das Mindeste ist.
Doch überstehn ist bekanntlich bei weitem nicht alles.
Versteh’s, wer will und wie’s beliebt. Der Leser, die Leserin ist immer im Recht, auch wenn sie beide unrecht haben. Und das gilt, wenn ich Vergessenes wiederlese und neu lese, für mich als Autor gleichermassen.
Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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