Haiku oder Die Lehre von der Leere der Dichtung
Teil 3 siehe hier …
In einem Werkfragment über «Japanische Dichtung» (ca. 1957) konstatiert Jürgen von der Wense, dass im original-japanischen Haiku «alles ebenmässig temperiert» sein müsse, «im grossen Es der Natur ausgeschlichtet und verwogen», «in Form und Inhalt völlig schlicht, leer – aber dann weiterschwingen im Hörer, der es eigentlich weiterdichtet und austönt».
Das ist ein radikaler Gegenzug zu aller westlichen Dichtung, zu deren Rhetorik traditionellerweise die Metaphernbildung, mithin das uneigentliche Sprechen gehört und die durch verstechnische Vorgaben (Metrum, Reim usf.) und andere, teils lautliche, teils stilistische Formalien (Assonanz, Parallelismus usf.) stark geprägt ist. Das Fehlen solcher Prägungen – und nicht zuletzt die Absenz eines lyrischen Ich – ist wohl der Grund dafür, dass Haikus in deutscher, englischer, französischer Übersetzung meist als kunstlos, als gedankenleer, mithin als nichtssagend empfunden werden.
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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