Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Kalenderlyrik (Teil 2)

Kalenderlyrik

Teil 1 siehe hier

Ich komme auf meine Aushängelyrik zurück, führe hier das Gedicht an, das unter der Nummer 14 figuriert:

Ankunft.
Es nimmt seinen Lauf. Was abblättert ist
ein Hagelbrett. Jeder Einschlag nimmt mir
was weg. Ich rede. Der Hag wird maschig.

Rückkehr.
Nie ohne Mast. Der Bub gibt dem Spross
wortlos die Hand. Du hörst dich leicht ins
Kreuz hinein. War gestern ein Knabenkraut
am Bart. Wer heute Seide spinnt, hat einen
Vogel. Dein Zaunkönighüpfen. Eine Feder
kitzelt die Maschen.

Lauter gewöhnliche Wörter (ausgenommen «Hagelbrett» und «maschig»), lauter normal gebaute Sätze, das Ganze in ruhigem Parlando, alles nimmt hier seinen gewohnten Lauf. Doch bei aller Vertrautheit glaubt man einen fremdsprachigen Text zu lesen, man stutzt, liest ein zweites Mal. Nur der Spur nach – falls überhaupt – kommt Verständnis auf. Es gibt ein Ich, ein Du, es ist von Ankunft und Rückkehr die Rede (was ein Gleiches sein kann), die Natur wird beiläufig evoziert durch Zaunkönig und Knabenkraut, die schwache Assonanz von Hag und Hagel, von Mast und Maschen trägt zur Klärung der Lesart nichts bei.

Das Gedicht hat weder der Form noch der Aussage nach Originelles zu bieten. Wenn es trotzdem Interesse weckt, so ganz einfach deshalb, weil es unverständlich ist. Ich lese die Wörter, die Sätze vor mich hin, alles geht leicht von der Zunge, und erst am Schluss stelle ich fest: Verstanden habe ich nichts.

Ich verstehe nicht, wie und weshalb «eine Feder die Maschen kitzelt», weiss nur, dass Federn kitzeln können, nicht aber, welche Art von Maschen mit welcher Art von Federn bei welcher Gelegenheit miteinander in Berührung kommen. Und was ist das – ein «Hagelbrett», das «abblättert»; ein «Hag», der «maschig» wird; ein «Bub», der einem «Spross» die Hand gibt, und zwar «wortlos»; jemand, der sich «ins Kreuz hinein» hört, und zwar «leicht»; ein «Bart», an dem ein «Knabenkraut» war, und zwar «gestern»? Usf.

Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00