Kehraus mit Celan
Eine revisionistische Lektüre
Teil 2 siehe hier …
Längst hat Paul Celans Sakralisierung deutliche Züge von Vergötzung angenommen. Als Opfer antisemitischer Verfolgung und Vertreibung, als Opfer einer furiosen Plagiatskampagne, als Opfer des unzureichend entnazifizierten deutschen Literaturbetriebs, als Opfer geistiger Verwirrung, schliesslich als suizidales Opfer seiner selbst ist der Dichter zu einem unangreifbaren Idol geworden, sein Leben – ein einziger Martyrolog, das Werk – ein einzigartiges, mit Bedacht verschlüsseltes Zeugnis seiner Klage und Anklage.
«Düsterstes im Gedächtnis, Fragwürdigstes um sie her, kann sie [die Dichtung], bei aller Vergegenwärtigung der Tradition, in der sie steht, nicht mehr die Sprache sprechen, die manches geneigte Ohr immer noch von ihr zu erwarten scheint», notierte Celan für eine Umfrage der Pariser Librairie Flinker im Jahr 1958; und weiter: «Ihre Sprache ist nüchterner, faktischer geworden, sie misstraut dem ‹Schönen›, sie versucht, wahr zu sein.»
Zweierlei wird hier klargestellt: Erstens bekennt sich Celan zur literarischen Überlieferung, macht aber deutlich, dass Dichtung nicht auf die Erfüllung entsprechender Erwartungen angelegt ist, sondern auf die Erneuerung und Erweiterung der dichterischen Rede; zweitens plädiert er für eine Sprachkunst, die zu Gunsten der Wahrheit die Schönheit zurückstellt, also der Kunstfertigkeit die Faktographie vorzieht, «eine ‹grauere› Sprache», wie er hinzufügt, «eine Sprache, die unter anderem auch ihre ‹Musikalität› an einem Ort angesiedelt wissen will, wo sie nichts mehr mit jenem ‹Wohlklang› gemein hat, der noch mit und neben dem Furchtbarsten mehr oder minder unbekümmert einhertönte.»
Dieses dezidierte, programmatisch anmutende Selbstzeugnis steht bezüglich der «wahren» Dichtersprache in auffallendem Widerspruch zu allem, was Celan zuvor und danach an Lyrik bewerkstelligt hat. «Todesfuge», sein bekanntestes Dichtwerk, ist beispielhaft dafür, dass und wie «Düsterstes», «Furchtbarstes» mit lyrischem «Wohlklang» vorgetragen werden kann – ein Meisterstück rhythmischer Gestaltung und klanglicher Organisation.
Doch mehrheitlich ist Celans Lyrik, die keineswegs nur aus Meisterstücken besteht, in dieser Hinsicht allzu üppig und angestrengt instrumentiert. Die vom Autor geforderte «nüchterne», «grauere» Sprache, die den «wahren» Ausdruck erbringen soll, wird in seinen Texten durchwegs ins Polychrome und Euphonische überhöht, wird höchst eindringlich zum Klingen und metaphorisch kühn zur Anschauung gebracht, selbst dort noch, wo sie zu verstummen droht.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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