Kehraus mit Celan
Eine revisionistische Lektüre
Teil 5 siehe hier …
Um die vielberufene «Dunkelheit» seiner lyrischen Sprache zu rechtfertigen, zitierte Celan in der Büchnerrede auf Französisch einen diesbezüglichen Verweis von Blaise Pascal:
«Werft uns nicht den Mangel an Klarheit vor, denn wir bekennen uns dazu.» Und er fügte hinzu: «Das ist, glaube ich, wenn nicht die congénitale, so doch wohl die der Dichtung um einer Begegnung willen aus einer – vielleicht selbstentworfenen – Ferne oder Fremde zugeordnete Dunkelheit.»
Dunkelheit im Gedicht wird erreicht durch Verdunkelung seiner Aussageebene, heisst auch – durch die absichtliche Störung seiner Kommunikations- und Bedeutungsfunktion, letztlich also durch die Erschwerung, wenn nicht Verhinderung des Verstehens. Statt Eindeutigkeit wird Vieldeutigkeit angestrebt, statt Klarheit – das Ungefähre, Unberechenbare, Uneinsichtige; das Geheimnis gilt mehr als die Gewissheit, der Nonsense mehr als logische Kohärenz. In der diplomatischen oder militärischen Praxis dient Verdunkelung dem Transfer geheimer Nachrichten, in der Poesie (wie in der Magie) – der Erzeugung von Stimmungen und Ahnungen, die höhere, rational nicht fassbare «Wahrheiten» eröffnen sollen, «Wahrheiten», die nur in Andeutungen, Anspielungen, Vergleichen, Metaphern evoziert werden können, nicht aber in Begriffen festzuhalten sind. Solch vage «Wahrheiten» ermöglichen naturgemäss eine Vielzahl von Auslegungen, sie fordern hermeneutischen Scharfsinn und interpretative Spekulation gleichermassen heraus. Von daher der Reichtum, die Vielfalt aller Celan-Exegese.
… Fortsetzung am 7.9.2024 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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