Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Kehraus mit Celan (Teil 7)

Kehraus mit Celan
Eine revisionistische Lektüre

Teil 6 siehe hier

Als ein erstes Beispiel für Celans Verdunkelungs- und Verfremdungstechnik rücke ich an dieser Stelle das vom Januar 1968 datierte Gedicht «Zrtsch» ein:

Zahniger Zorn,
ich zätsche,
zundere,
zaibe.

Es ännt
hinterm Hirn, es gegittert.

E-e-g! E-e-g!

Ich haare, ich härsche.

Öötschst. Heringst.

Paul Celan hat diesen Text am Tag seiner Entstehung brieflich an Franz Wurm übermittelt, mit der Anmerkung: «Das Bösere ist des Guten Freund.» Ob das als Kommentar oder als Erklärung zum Gedicht zu lesen ist, bleibt offen; offen auch, weshalb Celan den Text nie in Druck gegeben hat, weder als Einzelpublikation noch als Teil eines seiner späteren Buchwerke. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass er das Gedicht als persönliches Gesprächsangebot an den Freund adressiert hat und dass er es – in Übereinstimmung mit seiner dialogischen Poetik – im Privatbereich (in «allereigenster Enge») belassen wollte.
Dunkel, wenn nicht gar befremdlich und abweisend ist gleich schon der Titel des Gedichts: «Zrtsch» kann im Deutschen weder als Wort noch als Name gelten, da es keinen silbenbildenden Selbstlaut aufweist, wie es bei «ratsch» oder «rutsch» der Fall wäre. Ich halte «zrtzsch» für ein willkürlich gesetztes, vielleicht aber auch spielerisch gewähltes Kennwort und vermute dessen Herleitung aus dem Tschechischen (was sich linguistisch leicht erklären liesse). Mag sein, ja, es ist anzunehmen, dass Celan und sein Korrespondent eine bestimmte Vorstellung oder Bedeutung damit verbunden haben, doch für deutschsprachige Leser ist das ohne Belang, für sie – für uns – ist «zrtsch» eine unaussprechliche bedeutungsleere Buchstabenfolge, die als solche die Dunkelheit des Gedichts annonciert und beglaubigt.
«Zrtsch» liefert im Übrigen für die gesamte erste Strophe den selben dentalen Anlaut – «zahniger Zorn» sowie die neuartigen, dabei archaisch wirkenden Tätigkeitswörter «zätschen», «zundern», «zaiben». Ungewöhnlich – oder eben dunkel – sind (in der folgenden Strophe) auch die Verbformen «es ännt» und «es gegittert», Wörter und Formen, die es im Deutschen so nicht gibt, die jedoch andrerseits wie Überschreibungen bekannter Wendungen zu lesen sind: «es brennt» (für «ännt»), «es gewittert» (für «gegittert»); ebenso im vorletzten Vers, wo «ich haare» für «ich harre» und «ich härsche» für «ich herrsche» stehen könnte.
Auch die unverständliche Verbform «heringst» in der Schlusszeile liesse sich durch den Austausch eines einzigen Buchstabens normalisieren («geringst», Steigerungsform zu «gering»), doch dem Verständnis dieser Stelle und des Gedichts insgesamt wird damit nicht nachgeholfen. Ebenso verhält es sich bei dem doppelten, ganz und gar unverständlichen Imperativ «E-e-g! E-e-g!», der umgekehrt zur Leserichtung als «Geh! Geh!», lautähnlich allenfalls als «Weg! Weg!» gedeutet werden könnte – die offenkundige (offenkundig gewollte) Dunkelheit dieser Strophen ist selbst durch solch behelfsmässige Formanalysen nicht aufzuhellen. Und vollkommenes Dunkel tritt ein, wenn am Gedichtende ein anonymes Du (zweite Person Einzahl) gleichsam angequatscht wird mit «öötschst», was durchaus auf Hohn oder Verachtung schliessen lassen könnte, aber – vom Autor gewollt – jeglichem rationalen Verstehen entzogen bleibt.
Der hier vorliegende, hermetisch verrätselte Text dürfte auf manche Leser abschreckend oder auch provokant wirken, seine konsequente Aussageverweigerung täuscht dennoch nicht über seinen Kunstcharakter hinweg. Jeder Vers – wie das Gedicht als Ganzes –kommt in poetischer Hochrüstung daher, doch die formale Überanstrengung mit den allzu vielen Stabreimen und Assonanzen lässt um so deutlicher das Defizit an Mitteilung erkennen: So viel künstlerischer Aufwand bei vollkommener Bedeutungsleere. Andrerseits ist Bedeutungsleere kein Hindernis, eher sogar ein Antrieb für eigenständige Sinnbildung auf Seiten der Leserinnen und Leser. Womöglich ist es gerade dies, was Celan von seinen imaginären Gesprächspartnern erwartet – dass sie das Gedicht, so wie’s dasteht, in seiner Opazität akzeptieren, etwas Eigenes damit anfangen, statt es bloss als Fremdtext zu hinterfragen und auszudeuten, um zu ergründen, was der Autor hat «sagen» wollen.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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