Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Lyrisches Herbsteln (Teil 2)

Lyrisches Herbsteln

Teil 1 siehe hier

Georg Trakl, weithin bekannt als lyrischer Kolorist, hat den Herbst in einem seiner saisonalen Gedichte («Farbiger Herbst», Erstfassung 1909) exemplarisch ausgemalt und damit eine Darbietung realisiert, die sämtliche Ingredienzien der ambivalenten Jahreszeit in sich vereint: Das Blau des Spätsommers, der verschattete absterbende Garten, die graue Statue mit den toten Augen, das rote Blattwerk, das «vom alten Baum» fällt, die «welken, gebleichten Düfte» und der in »frierenden Lüften» befangene Mond:

Der Brunnen singt, die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten;
Bedächtig, stille Menschen gehn
Da drunten im abendblauen Garten.

Der Ahnen Marmor ist ergraut
Ein Vogelflug streift in die Weiten
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster,
In dunklen Feuern glüht der Raum,
Darin die Schatten, wie Gespenster.

Opaliger Dunst webt über das Gras,
Eine Wolke von welken, gebleichten Düften,
Im Brunnen leuchtet wie grünes Glas
Die Mondessichel in frierenden Lüften.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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