Poesie der Aufzählung
Anmerkungen zu Inger Christensens «alfabet»
Teil 4 siehe hier …
Gegenstand der rasant expandierenden Textfolge sind Dinge, Fakten, Phänomene, auch chemische oder physikalische Prozesse, vorzugsweise aber Pflanzen und Tiere, die «es gibt», genauer: die es noch gibt, die also der fortschreitenden Vernichtung und dem Diversitätsschwund vorerst entgangen sind: «die Tauben gibt es; die träumer, die puppen, | die töter gibt es; die tauben, die tauben; | dunst, dioxin und die tage; die tage | gibt es; die tage den tod; und die gedichte | gibt es; die gedichte, die tage, den tod». Die litaneiartige Aufzählung des Gegebenen evoziert stets auch die Gefahr seines Verschwindens und gleichermassen die Gefahr seines katastrophischen Überhandnehmens:
die atombombe gibt es
Hiroshima, Nagasaki
verletzte in Hiroshima
Hiroshima am 6.
august 1945
Nagasaki am 9.
august 1945
140’000 tote und
verletzte in Hiroshima
ca. 60’000 tote und
verletzte in Nagasaki
zahlen die stillstehn
irgendwo in einem fernen
gewöhnlichen Sommer
seitdem sind die verletzten
gestorben, erst viele, die
meisten, dann weniger, aber
alle; zuletzt
die kinder der verletzten,
totgeboren, sterbend,
viele, ständig
einige, schliesslich die
letzten …
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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