Poesie und Poetik des Namens
Beispiele, Analysen, Kommentare
Teil 9 siehe hier …
Marina Zwetajewas erstes Widmungsgedicht an Marina Mniszek ist eine vorbehaltslose Huldigung an deren heroische Schönheit, ihren Stolz und ihren rebellischen Geist. Die Übereinstimmung der Taufnamen hielt die Dichterin für schicksalhaft, und sie sah darin auch tatsächlich eine Schicksalsgemeinschaft begründet. Dass sie sich mit der rebellischen Mniszek – der «Pseudomarina» – identifizierte, hat sie selbst bestätigt: «… ich hätte auch mich beschreiben können, das heisst nicht die Abenteurerin, nicht die Ehrsüchtige, nicht die Liebhaberin: sondern mich als Mutter, die auch sich selbst geliebt hat. Vorab jedoch: mich als Dichter.» Die «Pseudomarina» hat demnach als Double der Autorin zu gelten; dazu ein Auszug aus dem Gedicht «Marina» (I):
Marina! Dem Zaren eine Zarin,
Dem Prätendenten – ein Stern!
Dich besinge ich,
Deine schlimme Schönheit,
Ein Antlitz ohne Rot.
Zu deinem Ruhm versündige ich mich
Mit dem Zarenmakel des Stolzes.
Dein ruhmvoller Name –
Ich trag ihn mit Bravour.
Und aus «Marina» (II):
Ein Täubchen sein auf Adlerart!
Mehr als eine Mutter sein – die Marina!
Ordonnanz – Wache – Bote –
Fahnenträger – höfischer Liebediener!
Seraphim und Wachthund
Zur Wahrung des unruhigen Schlafs.
…
Als schwarzer Sturm lautlos im Flug,
Nicht als Freundin bloß – allzeit bereit!
Nicht eins nur sein, sondern – doppelt!
Zwilling – Doppelgänger – schlanker
Kreuzzugsbruder, Feuersbrunst,
Gekrümmter Dolch …
Nicht allein die Doppelung des Gleichen wird hier vorgeführt – diese (heutige) und jene (historische) Marina –, sondern auch die transsexuelle Gleichheit von Freundin und Bruder, Mutter und Krieger, exempliziert an der Taube, die gleichzeitig Adler ist.
Die Exklusivität ungleicher Gleichheit kennzeichnet auch die Gedichtfolge, die Marina Zwetajewa ihrer Freundin und Kollegin Anna Achmatowa gewidmet hat («Verse an die Achmatowa», 1916). Auch hier betont sie, mit der Angerufenen eins und allein zu sein, vertraut und fremd in fataler Bindung, sie (Zwetajewa) als «Zuchthäusler», die andere (Achmatowa) als «Überwacher» – beide männlich, beide vereint in ihrer Gegensätzlichkeit, beide mit selbigem «Geschick». Von daher erstaunt es nicht, dass Marina Zwetajewa den Namen der Achmatowa schlicht auf das Klagewort «ach» zurückführt und ihn von daher auch erklärt.
… Fortsetzung am 27.2.2025 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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