Poesie und Poetik des Namens
Beispiele, Analysen, Kommentare
Teil 16 siehe hier …
In Paul Celans Nachlass finden sich zwei von 1961 datierte Gedichte, in denen einerseits («Mitternacht») der Bezug Name/Hand präzisiert, andrerseits (in «Der Schmerz») die Samenhaftigkeit des Namens veranschaulicht wird:
…
Ich habe keinen Namen und nur die eine Hand.
(Die andre liegt beim Namen – sie knospt, sie knospt.
Mit hundert Fingern knospt sie: der Name fault und fault.)
…
Es geht ein Same auf, weisst du,
es geht, es geht
ein Nachtsame auf, in den Fluten, ein Volk
wächst heran, ein Geschlecht
vom-Schmerz-und-vom-Namen –
Die Art und Weise, wie Celan den Namen «Mandelstam» variiert, zerlegt und immer wieder neu zusammensetzt, verleiht ihm ein «Vibrato», das ihn auch dann anklingen lässt, wenn er nicht in vollem Wortlaut genannt wird. Celan beobachtet dieses Verfahren auch in Mandelstams Dichtung und sieht darin seine «Verwandtschaft» mit dem russischen «Bruder» bestätigt. Was er dazu in einem Radio-Essay von 1960 referiert hat, trifft uneingeschränkt auch auf ihn selbst zu, auf seine eigene, schon vor der Lektüre Mandelstams ausgearbeitete Poetik: «Es ist dieses Spannungsverhältnis der Zeiten, der eigenen und der fremden, das dem Mandelstamm’schen Gedicht jenes schmerzlich-stumme Vibrato verleiht, an dem wir es erkennen. (Dieses Vibrato ist überall: in den Intervallen zwischen den Worten und den Strophen, in den ‹Höfen›, in denen die Reime und die Assonanzen stehen, in der Interpunktion. All das hat semantische Relevanz.) Die Dinge treten zueinander, aber noch in diesem Beisammensein spricht die Frage nach ihrem Woher und Wohin mit – eine ‹offenbleibende›, ‹zu keinem Ende kommende›, ins Offene und Besetzbare, ins Leere und Freie weisende Frage.»
… Fortsetzung am 6.3.2025 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
Schreibe einen Kommentar