«Tempel im Gehör»
Rilkes Wiederkehr im Internet
Teil 4 siehe hier …
Besondere Präsenz gewinnt Rilke neuerdings durch das youtube-Projekt «Das ist die Sehnsucht» von Schönherz & Fleer. Hier wird jeweils ein Gedicht von einem Sprecher, einer Sprecherin vorgetragen und mit eigens ausgewählter Wohlfühlmusik untermalt. Das mag durchaus gewisse Sehnsüchte aufkommen lassen, verunmöglicht jedoch die adäquate Wahrnehmung der Texte dadurch, dass spracheigene Musikalität und lyrische Melodik von der gefühligen Hintergrundmusik zugedröhnt wird.
Sprachklang und instrumentale (wie auch vokale) Musik sind zwei völlig unterschiedliche Register, und eben diesen elementaren Unterschied verwischen die multimedialen Darbietungen von Schönherz & Fleer im Zeichen und im Interesse obsoleter Sehnsuchtspflege. Ganz anders Fritz Stavenhagen, der seit 20 Jahren auf seiner Website «Gesprochene Deutsche Lyrik» in neutraler, sehr präziser, ganz unprätentiöser Intonation vorträgt und eben damit – gerade auch bei Rilke – das Heraushören der eigentlichen Sprachmusik ermöglicht. Der Dichter selbst imaginiert sich in einem frühen Gedicht («Ich lebe mein Leben», 1899) als «ein Sturm, ein grosser Gesang» und konzediert damit seinen Rezitatoren jede Freiheit des Vortrags und der lautlichen Interpretation.
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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