Undingpoesie
Teil 3 siehe hier …
Der kollektive Stil dieser neuartigen «undinghaften» dichterischen Sprechweise lässt sich zutreffend veranschaulichen durch eine Montage anonymer zeitgenössischer Textextrakte, die hier – beispielshalber – zu einem Text amalgamiert werden. Das mag ein literaturkritisch unstatthaftes Verfahren sein, lässt aber um so deutlicher den dominanten Zeitstil erkennen. Charakteristisch für diesen Stil ist die additive Fügung disparater Elemente und Momente, der weitgehende Verzicht auf konjugierte Verbformen, auf Nebensätze, auf Zeitenfolge. – Sechs gleichartige Zitate, sechs unterschiedliche Autoren und Autorinnen, quasi (in der Art eines japanischen Renga) ein Gemeinschaftsgedicht:
… das Verstehen des logischen Musters
den Sobek Sensor gibt es
das Queren des Lichtstrahls gibt es die
Leuchtdioden das Streichen mit den
Spitzen der Finger es gibt streichend
gibt es den Tasthalter Fingerhalter …… Streifchen schlingend
Geruch ionisierter Luft
verkohlender Zigaretten
Steaks, Maiskolben, Cervelats
Vorgeschmack: Vitamine
Gummibärchen, Kau-Nikotin
Abendwünsche nach Zapping
in sarmatische Zeit …… ja es ist Zephir, ein
Himmelsgeviert, zweimal dein
Gesicht auf einem Sofa, ja es ist
so ein tauber Tag, die Schatten und
schrägen Sterne wechseln im
zornigen Rasen : Windräder
aus Pappe, ein
Artefakt … (liegt in flandern) – so urteilen die andern: „wie
aaaaaalles, was die
langenscheidt kg hervorbringt, ist auch das
aaaaauniversalgedicht babel
als leidlich geformt zu betrachten …… Disiectio membrorum: die schamanistische Gliederverstreuung.
Eben auch: Die Wortauswerfung.
Sowie: die Wortverwerfung.
Die unausgesetzten, immer zu wiederholenden Arbeitsvorgänge: die des
Wortaufklaubens, nicht: Worteklaubens; die des Wortemachens, ja. Bei Be-
darf Anwerfen des Neologismus-Maschinchens …… Vom Hinschmeißen reden, vom Leichtfüßigsein. Vom Weiterflug der verletzten Hand. Trotz Feinjustierung des Worts Armlänge im Wechselspiel mit Halbtrockenrasen und Buschbraunelle. Vorerst den Wasserhahn öffnen, vielleicht ausgeruht wirken, das Prasseln zitieren: Eins, zwei, drei, geh’n vorbei, wissen nicht, wer das wohl sei.
[usf.]
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Die FAZ hat solche «Integrationspoesie» in einer seriösen Rezension einst als «Heidenspass» belobigt. Spass ist ja gut; aber nur dann, wenn man ihn tatsächlich hat. Doch die verhältnismässig strapaziöse Lektüre derartiger Texte macht eher keinen Spass, und abgesehen davon gäbe es für die Einordnung und Beurteilung von Gedichten ausser heidnischem Spass auch noch ein paar andere Kriterien.
© Felix Philipp Ingold
aus unveröffentlichten Manuskripten
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