Wozu das Gedicht?
Teil 1 siehe hier …
Der sterbende Vergil verabschiedet bei Hermann Broch nicht nur sein vermeintlich verfehltes Leben, sondern ebenso seine vermeintlich verfehlte Kunst. In tiefster Zerknirschung distanziert er sich von seinem Meisterwerk, dem Versepos «Aeneis», das er nun für «armselig» hält und dem Feuer übergeben will, weil es ja bloss der Schönheit huldige – der Schönheit seiner selbst. Nichts habe das Werk derweil zum Heil der Menschen beigetragen, und schon gar nichts zur «Aufdeckung des Göttlichen». Vergil scheint sich vorzuwerfen, die Sprache allein um der Kunst willen eingesetzt und als seine eigene Schöpfung perfektioniert zu haben – zur Erzeugung von Wohlklang und Wohlbefinden wie auch von Wohlwollen bei den Göttern.
Der Kaiser wiederum hat kein Verständnis für Vergils Selbstzweifel und Kunstskepsis. Vielmehr beharrt er darauf, die «Aeneis» gleichsam als Staatseigentum zu behändigen, sie zu kanonisieren als höchste dichterische Formwerdung der «Wahrheit», die er in diesem Fall – anders als der Verfasser – mit der «Schönheit» nicht in Konflikt, sondern in vollkommener Übereinstimmung sieht. Für ihn als Staatsoberhaupt ist das Epos eine gleichrangige Entsprechung zu den römischen Gesetzen und übrigens auch zur römischen Architektur.
Vergil mag die Belobigung durch den weltlichen Herrscher nicht gelten lassen, er hält seine Inanspruchnahme als Aushängeschild des Regimes für willkürlich und übergriffig, das Gespräch mit dem Kaiser für nichtig: «Was da zwischen ihnen noch hin- und herging, das war nichts mehr, das waren leere Worte oder nicht einmal mehr Worte, und sie durcheilten einen leeren Raum, der nicht einmal Raum mehr war. Ein unglaubwürdiges Nichts war alles und brückenlos.».
Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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