Wozu das Gedicht?
Teil 3 siehe hier …
Doch was ist «jenseits der Sprache»? Die Stille? Das Schweigen, das Verschweigen? Oder einfach nichts? Die Sprachskepsis der dichterischen Moderne, die so beredten Ausdruck fand bei Mauthner, Hofmannsthal, Wittgenstein, scheint Hermann Broch mit Vergil noch einmal aufleben zu lassen. Auch der zweifelt ja nicht nur an seinem eigenen sprachlichen Vermögen, sondern am Vermögen der Sprache selbst, nur einfach auszusagen, was der Fall ist, geschweige denn die Götterwelt angemessen zu repräsentieren, sie zutreffend zu «bedeuten».
Was aber, wenn «die Götter» eine eigene unverständliche Fremdsprache hätten oder wenn sie überhaupt ohne Sprache auskämen? Dann allerdings wäre auch die kunstvollste Dichtung nicht in der Lage, sie anzusprechen oder auch bloss über sie zu berichten. Einzig im echolosen Raum des Schweigens wäre Übereinkunft möglich, einzig das Verschweigen bliebe dem Dichter als Ausdrucksform: Schweigen transitiv. Das wäre, meint Broch, echte «Demut» – der Sprachkünstler, der seine «Stummheit» (und darüber hinaus – wie Homer – auch seine «Blindheit») akzeptiert und aller Kunst entsagt.
Brochs sterbender Vergil wird somit zur Symbolgestalt für das Sterben der Dichtung, sein Roman zum Abgesang auf die dichterische Kultur schlechthin. Was aber unerwähnt bleibt, ist die (vom realen Vergil selbst geschaffene) Tatsache, dass Dichtung auch ohne quasigöttliche Überhebung «gross» sein kann; dass sie womöglich dort «am grössten» ist, wo sie auf «das Grösste» verzichtet und sich mit dem begnügt, was ihrem Sprachvermögen erreichbar ist und was sie gleichermassen als «schön» und «wahr» ausweisen kann. Die «Georgica» sind ein überzeugendes, wenn nicht überwältigendes Beispiel dafür.
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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