Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Zum Ende schreiben (Teil 2)

Zum Ende schreiben

Teil 1 siehe hier

Keinesfalls sollte man vergessen, dass Ilse Aichinger die Kriegsjahre im Rückblick als die «glücklichste Zeit» ihres Lebens bezeichnet hat – gerade weil Gefahr und Entbehrung die staunende Wahrnehmung des Geringen, Blöden, Billigen nicht nur fördern, sondern geradezu erzwingen. In diesem Zusammenhang erschliesst sich vielleicht auch ihre schockierende Beteuerung, die grösste menschliche Katastrophe bestehe darin, «ohne Katastrophe zu leben». Für sie (wie letztlich auch für ihre Leserschaft) sind jene horrenden Jahre nicht Gegenstand, sondern Hintergrund literarischer Darstellung, die düstere Kulisse, vor der sie ihre Gedanken- und Sprachwelt in wechselnder Inszenierung vorführt. Als Schreibende wie als Lesende war sie nach eigenem Bekunden an Inhalt und Handlung belletristischer Texte völlig desinteressiert, selbst bei Gustave Flaubert oder Joseph Conrad, die zu ihren bevorzugten Schriftstellern gehörten, blieb sie gleichgültig gegenüber dem Erzählten (dem Stoff) und achtete um so mehr auf das Erzählen (den Stil). Nicht dass sie sich deshalb um das Schönschreiben bemühte, um belletristische Eleganz und Gefälligkeit – ihr Personalstil war schon immer mitgeprägt von schrägen, unbedarften Formulierungen wie auch von offenkundigen Verstössen gegen Duden’sche Korrektheit. Das Lob der «schlechten» Wörter war bei ihr auch darauf angelegt, «schlechte» Wörter gut sein zu lassen.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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