Zum Ende schreiben
Teil 3 siehe hier …
Schon immer war sie davon überzeugt gewesen, dass die hauptsächliche Funktion des Schreibens darin bestehe, sterben zu lernen: Schreiben wollen heisse für sie nur einfach – verschwinden wollen, bekannte sie 1996 in einem Gespräch mit dem Wochenblatt «Die Zeit». Da man ungefragt geboren werde, müsse man (wolle sie) im Gegenzug zu dieser ungeheuerlichen Zumutung schreibend auf den eigenen Tod hinarbeiten.
Das mag bei Ilse Aichingers sonst so zurückhaltendem Worteinsatz pathetisch klingen, doch tatsächlich hat sie ihre Schreibarbeit – vorab in den späten Lebensjahren – souverän in diesem Verständnis praktiziert. Ein Buch, ein Werk zu schaffen, darum ging es ihr nicht mehr; sie beschränkte sich statt dessen auf kleine Gelegenheits- und Auftragstexte, die sie mehrheitlich in der österreichischen Presse erscheinen liess – in der literarischen Diaspora sozusagen, unauffällig, fast achtlos verstreut, thematisch disparat. Doch auch hier scheint die frühe Biographie der Autorin wie eine flackernde, unentwegt mahnende Laufschrift immer wieder durch: Wien in der Kriegs- und Besatzungszeit, Minsk, Auschwitz, Mauthausen/Gusen als Orte massenmörderischer Gewaltanwendung, die Grossmutter, die Mutter, die Schwester als wichtigste Bezugspersonen, zugleich als Opfer antisemitischer Verfolgung.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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