Zum Ende schreiben
Teil 4 siehe hier …
Da sich über Unsägliches niemals adäquat berichten lässt, ruft Ilse Aichinger nicht primär Fakten, sondern Wörter auf, die als solche – statt die äussere, längst vergangene Wirklichkeit unzureichend zu repräsentieren – eine ganz eigene, eigengesetzliche Wirklichkeit behaupten. »Die Worte sind das Einzige, wodurch ich mir eine Realität verschaffe», hat sie einst trotzig zu Protokoll gegeben: «Sie sind für mich das Genaueste. Am ehesten komme ich zur Welt durch das Wort, wenn es wirklich ein Wort ist, wenn es kein Gerede ist.« In diesem Verständnis sind ihre späten Texte nicht nur Zeugnisse ihres Rückkommens auf das Notwendigste und Einfachste literarischer Rede bis hin zum «Nicht-Schreiben», vielmehr geraten sie ihr, darüber hinaus, zu expliziter Polemik gegen jede Form von Belletristik, die sich flotter Geschwätzigkeit verschreibt und damit die nachhaltige einsilbige Sprechweise «schlechter» (d.h. schwieriger) Autoren marginalisiert.
«Das gibt es heute nicht mehr, heute sprechen immer alle gleichzeitig. Es ist zu Ende», hat Ilse Aichinger in dem genannten «Zeit»-Gespräch zerknirscht zu Protokoll gegeben: «Es ist eine schwache Zeit. Aber man kann nicht einfach drauflosschreiben und künstlich Zusammenhänge herstellen», denn «im Augenblick kann man nur genau begreifen, dass keine Zusammenhänge da sind …» – In einem Essay von 1997 über «Das Verhalten auf sinkenden Schiffen» verschärfte sie diese Kritik: «Diejenigen, die das Feld beherrschen, weil sie nichts zu sagen haben, verlangen, es müsse wieder erzählt werden. Geschichten dieser Art sind heute aber verlogen. Sie bestärken Bequemlichkeit und Primitivität …» Und ohnehin könne man, wie sie 2004 in der Wiener «Presse» (Spectrum) bekräftigte, nur das erfahren, «was man schon weiss». Wozu denn also noch berichten, bezeugen, erzählen, erklären?
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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