Ferry Radax: Sonne halt! (Ausschnitt)
1. Sonne halt! 1959/60
2. Große Liebe 1966
3. Forum Dichter Graz 1967
4. H.C. Artmann 1967
5. Testament 1967/68
… des großen Avantgardisten Ferry Radax. –
Ein Programm mit fünf Filmen des großen österreichischen Avantgardisten Ferry Radax – ein Querschnitt durch seine unterschiedlichen Aktivitäten der späten Fünfziger- und der Sechzigerjahre. Als Zeitzeugnisse herausragend sind dabei zwei Literaturreportagen für den ORF, H.C. Artmann und Forum Dichter Graz, jeweils 42 Minuten lang und quasi „back-to-back“ im Sommer 1967 in Graz gedreht. Artmann, angemessen exzentrisch, verwandelt sich in verschiedene seiner literarischen Gestalten und macht sie lebendig – eine vergnügliche und sichtlich vergnügte Begegnung des Filmemachers mit seinem Spezi, dem „Dichterfürsten“, auf dem Zenit von dessen Schaffen. Unnachahmlich, wie Artmann seinen eigenen Blaubart aus med ana schwoaazn tintn gibt.
Forum Dichter Graz zeigt Klaus Hoffer, Alfred Kolleritsch, Gunther Falk, Wolfgang Bauer und Barbara Frischmuth – auch sie lesen nicht einfach aus ihren Werken, sondern spielen Szenen nach – eine äußerst lebendige und amüsante Art, Literatur zu präsentieren. Dazu gibt es einen Kurzauftritt des 25-jährigen Peter Handke und entspannte Gespräche zwischen Radax und den Schriftstellern bzw. zwischen diesen selbst.
Große Liebe (1966), gedreht im Tirolerhof des Tiergartens Schönbrunn, ist ein deutlicher Hinweis auf die große Kinoleidenschaft des Ferry Radax, ein 26-minütiges Konzentrat eines – siehe Titel – großen Liebesdramas zwischen dem jungen Maler Dominik und seiner Frau, die mit dem Auto tödlich verunglückt. Dominik folgt ihr in ein bizarres Reich der Untoten, wo ihn eine Figur mit einer Maske in Bann schlägt. Nur wenig später entstand ein weiterer experimenteller „Spielfilm“ von Radax, die exzentrische Science-Fiction-Film-Parodie – oder eigentlich – Hommage Testament, in der Österreich von einem Diktator mit Hitlerstimme und -duktus unterjocht wird, der das Land in einen Bürgerkrieg führt. Neun wilde Amazonen kämpfen für den Tyrannen, und es wird geschossen und gekämpft, was das Zeug hält. Kung-Fu-Einlagen und Schlägereien ergänzen die tumultartigen Szenen, und ein Fähnlein Aufrechter hält sich im Stephansdom verborgen, dem Nationalheiligtum, um zu retten, was scheinbar trotz allem nicht mehr zu retten ist. Als ob das alles nicht genug wäre, ist das Geschehen unterlegt mit – jeweils passenden – Wienerliedern, die den ganzen Wahnsinn geradezu lakonisch kommentieren. Ein großer Spaß, und das ganz offensichtlich auch für alle Beteiligten.
Höhepunkt dieses (und jedes) Ferry-Radax-Programmes ist aber Sonne halt! (1959–1962), hier in seiner dritten und endgültigen 25-Minuten-Fassung, mit Texten von Konrad Bayer, der als Matrose und Dandy auch die „Hauptrolle“ spielt. Wie ein Juwel funkelt Radax’ spektakuläre Schwarz-Weiß-Bild- und Toncollage bis heute, trotz all der Schwierigkeiten, die das geringe Budget und die aufwendige Gestaltung seinerzeit mit sich brachten.
Andreas Ungerböck, Inlay
– Die Avantgarde-Kurzfilme des Ferry Radax. –
SONNE HALT!
Ein Matrose erscheint am Hafen von Buenos Aires und zugleich als Dandy in Fegina, der „Riviera“ von Monterosso al Mare (Doppelrolle: Konrad Bayer). Beide sind durch eine Art „Innerer Monolog“ auf rätselhafte Weise voneinander abhängig. Eine elegante, kühle Schönheit [Suzanne Hockenjos) ist gelangweilt vom Dandy, sodass er schließlich [um ihr zu imponieren?] die Sonne herabschießt, die jedoch eine sehr erotische Eva (Ingrid Schuppan) auffängt, aber dem Dandy nicht mehr gibt. Daraufhin knallt er noch den Mond ab, aber auch dieses Spektakel langweilt die kühle Blondine. Darüber erzürnt, zerstört der Dandy seine ganze seltsame Welt. Dabei verliert er jedoch Eva. Trauer über deren Tod und Verzweiflung über die abweisende Dame machen den Dandy wieder zum Matrosen. Er sticht abermals in See.
GRANDE AMOUR
Auf der Spurensuche nach dem tödlichen Autounfall seiner Frau gerät der junge Maler Dominik in ein „Jenseits“, aus dem die Untoten nicht mehr entfliehen können, weil sie von einem japanischen Monster verspeist werden.
FORUM DICHTER GRAZ
Fünf damals noch wenig bekannte junge Schriftsteller des Grazer Forum Stadtpark spielen bizarre Figuren aus ihren Manuskripten, die oft erst viel später in Buchform erschienen sind.
H.C. ARTMANN
Experimentelles Dichter-Porträt. „H.C. Artmann in seinem ersten & witzigsten Filmauftritt.“ H.C. Artmann verwandelt sich in einige von ihm erfundene Gestalten, die seine Texte zu abenteuerlichem Leben erwecken.
TESTAMENT
Österreich wird von einem Diktator beherrscht, der die Ausbeutung aller heimischen Wasserkraft befiehlt. Journalisten, Intellektuelle, Studenten, die halbe Regierung, alle geraten in einen sehr kostspieligen Bürgerkrieg. Eine feministische „Einsatztruppe“ des Diktators räumt erbarmungslos auch unter den Schriftstellern auf, die sich zuletzt im Stephansdom verschanzen und die Welt via Radio und Fernsehen um Hilfe anflehen. Die unpolitische Jugend hält sich jedoch aus allem heraus und träumt von einer Freiheit, die sich nur mehr im Fernsehen abspielt: „… weil dort alles so echt ist!“ (… wie in heutigen Video-Games).
(www.ferryradax.at]
SONNE HALT! ist lebendiger, witziger, ironischer und ohne die Bürde eines pastosen künstlerischen Anspruchs. Text wird nicht mehr als Mittel der Kommunikation oder als Transporteur einer Stimmung verstanden. Sätze sind als Materialsplitter genutzt. Zwischen der Sonne, die auch eine Kartoffel oder ein Ball sein kann, und dem Mond, der wie eine geöffnete Handfläche scheint, die dem Dandy auf einem Teller beim Essen entgegenblitzt, ereignet sich ein Kaleidoskop an Bildern und Sätzen, Sie treten miteinander in Beziehungen, brechen sich ironisch. SONNE HALT! ist weniger ein Abenteuer des Auges denn vielmehr einer geistigen Akrobatik, die souverän und unbeschwert über Bild und Ton verfügt.
Büttner/Dewald, Inlay
Das Museum der Moderne Rupertinum Salzburg porträtiert vom 6.4.2019–17-11.2019 in der Ausstellung im Generali Foundation Studienzentrum die Entstehung des Films Sonne halt!
Ferry Radax: Sonne halt! bei sixpackfilm
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