Bedeuten und besagen

Von Oskar Pastior weiss man (er selbst hat es, nicht ohne Pathos, öffentlich gemacht), dass er „Bedeutung“ hasste.
Bedeutung hassen?
Bedeutung und Sprache sind so wenig zu trennen wie Sprache und Literatur. Ein Wortkünstler wie Pastior, der Bedeutung − aus welchem Grund auch immer − sanktioniert, kommt naturgemäss in Konflikt mit der Sprache. Was also tut er … was muss er tun, der doch intim mit Sprache zugang ist, um Bedeutung zu vermeiden?
Pastior hat dafür bekanntlich so etwas wie ein poetisches Computeridiom entwickelt, eine Kunstsprache, die weitgehend auf ihre Lautlichkeit und ihr Verlauten (beim Rezitieren) zurückgesetzt ist und nur noch ansatzweise über eine semantische Dimension verfügt.
Diese Sprache soll, unbelastet und ungetrübt von Bedeutung − man könnte auch sagen: gesäubert davon − als Klangereignis Bestand und Wirkung haben. Der Dichter instrumentiert sie auf ingeniöse Weise so, dass sie möglichst nichts aussagt, nichts zu verstehen gibt, vergleichbar einem Pianisten, der sein Klavier als Schlagzeug oder als Zupfinstrument einsetzt. Gewiss werden der Sprache wie auch der Musik durch solchen Missbrauch ungewohnte Töne und Intonationen abgewonnen, zugleich verliert sie aber, mehr oder minder weitgehend, ihre eigentliche Funktion − das Bedeuten und Besagen.
Oskar Pastior hat beim Komponieren seiner Dichtwerke stets nach strengen formalen Vorgaben gearbeitet, die Sprache diente ihm dabei als bedeutungsneutrales Rohmaterial, und vermutlich hätte dieses Material auch mit digitalen Verfahren „dichterisch“ aufbereitet werden können.
Mathematisch konzipierte, mechanisch und maschinell hergestellte Poesie war bekanntlich schon in früheren Zeiten ein Faszinosum. Heute, Jahre nach Pastiors Tod, mag sich die Frage stellen, ob ein Computer − nun in der Funktion eines „Autors“ − sein dichterisches Werk postum in der gleichen Art fortzuschreiben und akustisch vorzutragen vermöchte, wie er’s zu Lebzeiten, noch ohne Computer, programmiert hat.
Vermutlich würde sich herausstellen, dass es zwischen der künstlerischen und der künstlichen Produktion derartiger Texte nur minimale Unterschiede gibt: Die computergenerierten Gedichte wären ihrer Form nach fehlerlos, die handwerklich gefertigten wären wohl mit kleinern Mängeln behaftet, vielleicht gar mit gewollten Regelverstössen.
Doch was lehrt uns das nun? Und was ändert sich dadurch, wenn denn überhaupt, am Rang des Dichters Oskar Pastor, an der Qualität und Eigenart seiner Texte?
Es gibt noch Fragen.

 

aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne

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