Weiter im Text mit Hans Blumenberg. Nach Hunderten von Seiten in einem Dutzend seiner Bücher kommt nun doch, bei zwar anhaltendem Interesse und Erkenntnisgewinn, allmählich Eintönigkeit auf. Dieser Autor bedient ein einziges rhetorisches Register − den gelehrten, bisweilen allzu lehrhaften Diskurs. Der mag da und dort ironisch eingefärbt sein, ist aber stets der eines quasi allwissenden Rechthabers.
Für mich, der ich seit meiner Gymnasialzeit freien „poetischen“ Denkern wie Hamann, Blanchot, Lichtenberg, Lévinas, Joubert oder Cioran gefolgt bin, bedeutete die spätere, womöglich zu späte Begegnung mit Blumenberg so etwas wie einen Ordnungsruf, die Lektüre seiner Schriften ein begriffliches Exerzitium und die notwendige Disziplinierung meiner assoziativen, meist improvisierten Denkbewegungen, die kaum je brauchbare Antworten erbrachten, dafür aber immer wieder neue Fragen, die letztlich die immer gleichen waren.
Dass Blumenberg eine Hannah Arendt, einen Jacob Taubes für die mangelnde Präzision und Konsequenz ihres Denkens rügen konnte (… rügen musste) und dass er dem Kabbalaforscher Gershom Scholem Esoterismus und philosophische Naivität vorgeworfen hat, mag in mancher Hinsicht seine Richtigkeit haben, ändert jedoch nichts daran, dass ich gerade diesen Autoren besonders viele Impulse (Ermutigungen) zu eigenem produktivem Fortdenken verdanke, derweil ich bei Blumenberg durchweg auf das Mit- und Nachlesen verwiesen bleibe, mithin auf die Position des Lernenden, sich Vergewissernden, sich Weiterbildenden − eine Position, die ich immer wieder mit Gewinn einnehme, die aber weit mehr mein Wissen bereichert, als dass es mein Denken anregte.
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Fragen sind Blumenbergs Stärke nicht, Unwägbarkeiten, argumentative Risiken, kühnere Vergleiche und Bilder meidet er − seine Rede ist Diktat und Vollstreckung, wird nie nicht perfekt auf den Punkt gebracht, ist in jedem Fall erhellend, lehrreich, in höchstem Mass vernünftig, eröffnet aber kaum je eine über ihren jeweiligen Gegenstand hinausweisende Perspektive. Der Blumenbergsche Perfektionismus lässt an keiner Stelle Unklarheiten, Verstehensnöte oder gar misreadings zu, womit er sich freilich der Chance produktiven Missverstehens enthebt, die dem poetischen oder essayistischen Denker (Montaigne zuerst) vorbehalten bleibt.
Ein eher blamables, dabei aufschlussreiches Zeugnis dafür bietet der Briefwechsel zwischen Blumenberg und Taubes: Dieser überlässt sich gern − und ohne jede Angst vor Verlusten und Peinlichkeiten − seinem eigendynamischen, vielfach gebrochenen und verzweigten Gedankenfluss, während jener (intellektuell offenkundig überlegen) durchweg an seinem akademischen Rigorismus festhält und sich eher als Präzeptor und Korrektor denn als Kollege in den einseitigen, fast durchweg unergiebigen Dialog einbringt.
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Bei Hans Blumenbergs philosophischer Strenge und Redlichkeit weiss ich es denn doch durchaus zu schätzen, wenn ich hin und wieder − gleichsam von oben − autoritative, untadelig hergeleitete und ausformulierte Hauptsätze zu lesen bekomme, die dann eben doch ins Unversicherbare führen und damit zur Frage: Was fange ich nun an? Wie komme ich fort von hier? Wie finde ich meinen − eigenen − Weg?
Ich denke an Sätze wie diese: „Die Welt war das Resultat ihrer kontingenten Störung.“ (Wieso war?) − „So wäre das Universum das Resultat der Unerträglichkeit des Unzulässigen.“ (Wieso wäre?) − „Es bleibt das Wunder des Geistes, dem die breite Basis des Organischen letztlich doch nur zu dienen vermag, aber in einer Weise, die Vernachlässigung offenbar nicht rechtfertigt, sondern sträflich macht.“ (Wieso letztlich und offenbar und auch noch sondern? Woher und wozu der Geist als ein Wunder?)
Verallgemeinerungen und Vereinfachungen solcher Art lässt Hans Blumenberg nur ausnahmsweise zu; ebenso selten setzt er eigens gebildete Metaphern ein, um gewisse Sachverhalte oder Denkfiguren bildhaft zu vergegenwärtigen − für das poetisch affizierte Denken eines Maurice Blanchot oder Gilles Deleuze scheint er (anders als für die Heideggerschen Sprach-Denk-Bilder) keinerlei Interesse aufgebracht zu haben. Was überraschen muss bei einem Autor, der die philosophische Metaphernbildung in mehreren einschlägigen Studien − über das Lachen der Thrakerin; den Schiffbruch mit Zuschauern; über Quellen und Ströme, Höhlen und Eisberge usf. − abgehandelt und materialreich dokumentiert hat.
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Merkwürdig bleibt, dass Blumenberg sein Katheder in der schalldichten Klause des Heiligen Hieronymos aufgestellt hat, um uns wissen zu lassen, was alles er weiss; es ist sehr viel, und er weiss es − alles − sehr genau. So genau, dass man immer nur, dankbar und frustriert zugleich, nicken oder den Kopf schütteln kann. Brillante Intelligenz, begriffliche und rhetorische Artistik, staunenswerter gedanklicher Reichtum, staunenswerte gedankliche Reichweite und … aber seltenste Momente der Nachdenklichkeit, die eine Frage auch offen lassen können.
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Blumenberg zu lesen, ist eine ergiebige Denkschule, man wird − im doppelten Wortverständnis − reichlich bedacht; doch der Impuls zu eigenem Denken bleibt fast durchweg aus. Den gewinne ich anderswo … in einer Gedankenwelt, wo Kant und Lautréamont nicht geschieden, vielmehr verbrüdert sind; wo es hin und wieder auch etwas zu lachen gibt.
aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne
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