In Walden, dem Test- und Lerngebiet von Henry David Thoreau, ist alles egal, das heisst – alles ist gleichermassen gültig. Es gibt nicht Besseres und weniger Gutes, es gibt Diverses, das aber durchweg gleichrangig ist.
Der Rückzug in die Natur braucht keine Abkehr vom Buch zu sein. Lernstoff liefern Buchen und Bücher gleichermassen. Der Bildungsgang führt gleichermassen durch Wälder und Bibliotheken. Diese wie jene sind Quellen des Wissens, bisweilen in Form von Orakeln. Möglich – und immer auch notwendig – ist die Erforschung der Wahrheit da wie dort, so oder anders.
Thoreaus Wertschätzung der „Klassiker“ – Homer, Platon führt er gerne an und weiss er höchst produktiv zu kommentieren – ist staunenswert für einen Autor, der ansonsten den Ausstieg aus der verbildeten Stadtwelt und das bewusste, vertrauensvolle Eintauchen in heile Biosphäre empfiehlt. Das soll also kein Gegensatz sein, schon gar nicht ein Konkurrenzverhältnis.
Man übersehe indes die Pointe – den Witz – des klugen Autors nicht: Thoreau sieht die starke Literatur durch die moderne Zivilisation bedroht, sieht sie gefährdet durch Missachtung, Missverstehen und Missbrauch, und also versucht er, folgerichtig, sie aus den eingestaubten Bibliotheken in die unbeschadete Natur zu retten. „Wir sind“, hält er selbstkritisch fest, „ein verkrüppeltes Geschlecht von Zwergen, und unser geistiger Gedankenflug reicht nicht viel höher als die Spalten der Tageszeitung … Wir verwenden fast auf jeden Gegenstand unserer körperlichen Ernährung oder Pflege mehr als auf unsere geistige Nahrung.“
Wahr bis heute. Die Welt soll in geistigen Dingen „nicht ewig“ auf Paris oder London beschränkt und angewiesen bleiben: „Es ist Zeit, dass Dörfer zu Universitäten werden – das ist die ungewöhnliche Schule, die wir brauchen.“
„Dörfer“ steht hier für Natur, „ungewöhnlich“ – für alltäglich.
aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne
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