Paul Celan mit René Char
Mehr als 300 Druckseiten umfasst der Schriftwechsel zwischen Paul Celan und René Char, der seit kurzem, ergänzt durch Kommentare, diverse Bilddokumente und eine detaillierte Chronologie, in Buchform vorliegt. Zwar stehen in dieser nun erstmals einsehbaren Korrespondenz – sie erstreckt sich über die Jahre 1954 bis 1968 – Celans vielfältige Bemühungen als Übersetzer und Vermittler René Chars im Vordergrund, doch kommen beiläufig auch die langwierigen Querelen um die Plagiatsvorwürfe in der sogenannten „Goll-Affäre“ zur Sprache, die Celan als existentielle Bedrohung empfand, von der sich Char jedoch nicht involvieren lassen mochte.
Die von Bertrand Badiou mit aufwendiger textkritischer Akribie erstellte Briefausgabe ist – abgesehen von der Präsentation der Erstdrucke – dank der umfänglichen Anmerkungen eine Fundgrube zu genauerem Verständnis der deutsch-französischen Literaturbeziehungen in den 1950er/1960er Jahren, aber auch zur Komplettierung der Werkbiographien der beiden Korrespondenten durch mancherlei bislang übersehene Fakten.
Unter Paul Celans zahlreichen Korrespondenten war René Char – neben Ingeborg Bachmann – der einzige, der seinen hohen künstlerischen Ansprüchen voll und ganz entsprechen konnte. Zwischen den beiden erwuchs eine Dichterfreundschaft, die von wechselseitigem Respekt getragen war und doch niemals zu einer adäquaten vertrauensvollen Beziehung werden konnte, weil dafür der gemeinsame und gleichrangige Sprachbezug fehlte: Char verstand vom Deutschen (wie von allen andern Sprachen) nicht ein einziges Wort, er war vollkommen und ausschliesslich in seine französische Muttersprache eingelassen, die er wie eine Festung hochhielt und die er auch wie ein Festungskommandant beherrschte. Celan hingegen, der Vielsprachige, liess sich von der Sprache (in der er stets alle Sprachen am Werk sah) beherrschen, folgte beim Schreiben gewissermassen ihrem Diktat, verstand sich als ihr Diener und Vollstrecker.
Von daher erklärt sich wohl die latente Spannung, von der die Korrespondenz durchweg – wenn auch sehr diskret – gekennzeichnet bleibt. Paul Celan hat gegenüber René Char einen doppelten Vorrang: Deutsch und Französisch sind ihm gleichermassen vertraut, er kommuniziert mit dem Briefpartner in dessen eigener Sprache, derweil er selbst eine Fremdsprache verwendet, um den Briefdialog überhaupt zu ermöglichen. Anderseits ist das Deutsche – Vater- und Dichtersprache für Celan, unverständliche Fremdsprache für Char – das Medium der Übersetzungsarbeit, die der Begünstigte, also Char, auf keine Weise zu würdigen vermag, so wie er auch Celan selbst, in dessen Qualität als Lyriker, nicht gerecht werden kann. Wenn er ihn gleichwohl als den grössten deutschen Gegenwartsdichter belobigt, tut er dies lediglich anhand der ihm vorliegenden französischen Übersetzungen – ein Faktum, das den hochsensiblen Paul Celan insgeheim kränkt.
Naturgemäss wird diese Ungleichheit zwischen den beiden dadurch verstärkt, dass René Char nicht Gegenrecht halten kann, weder durch literaturkritische noch gar durch übersetzerische Vermittlung Celans in Frankreich. Seine diesbezügliche Unterlegenheit kaschiert und kompensiert er in seinen zumeist sehr knapp gefassten Briefen mit einer angestrengt kollegialen und doch fühlbar paternalistischen Haltung, die er nicht zuletzt durch seinen stets gleichbleibenden erhabenen Stil zum Ausdruck bringt, und dies selbst dann, wenn es Celan um ganz vordergründige Dinge, um „geschäftliche“ oder „literaturbetriebliche“ Interessen geht.
Chars mangelndes Sensorium für die zahlreichen Celanschen Empfindlichkeiten führten immer wieder zu krisenhaften Verstimmungen und zu langfristigen Unterbrechungen des Briefverkehrs. Doch nie wurden die Anlässe zu diesen Krisen zwischen den beiden Korrespondenten expliziert. Nur durch Vermittlung Dritter, Unbeteiligter lässt sich darüber Klarheit gewinnen.
Als hauptsächliche Krisenpunkte sind René Chars vorbehaltslose Bewunderung für den NS-Sympathisanten Martin Heidegger und sein schonender Umgang mit Claire Goll auszumachen, die einen verleumderischen Plagiatsvorwurf gegen Celan lanciert hatte. Aus verlässlichen Quellen weiss man heute, dass Paul Celan diese von seinem „Freund“ gehegten Sympathien als „schockierende“ Provokation empfand und dass sein Missbehagen so weit ging, dass er ihn (in einem Brief an Ingeborg Bachmann) als Menschen wie als Dichter gleichermassen der „Falschheit“ bezichtigte.
Die später erneut einsetzende Korrespondenz wurde auf beiden Seiten mit grosser Vorsicht geführt, fand aber nie wieder zur einstigen Kollegialität zurück. Doch als Paul Celan in den ausgehenden 1960er Jahren psychisch zunehmend in schwere Bedrängnis geriet und wegen Gewalttätigkeiten – darunter zwei Mordanschläge auf seine Frau (1966/1967) – mehrfach interniert werden musste, erwies sich René Char durch zahlreiche Hilfestellungen tatsächlich als der „Freund“, den Celan seinerseits bereits aufgegeben hatte. Zu dieser Zeit begann Char (ab 1969) einen separaten, sehr einfühlsamen und respektvollen Briefwechsel mit Celans Gattin, Gisèle de Lestrange, der zu einer intensiven künstlerischen Verbindung führte und den Freitod des Dichters (1970) um viele Jahre überdauerte.
[Paul Celan / René Char, Correspondance (1954-1968), suivie de la Correspondance de René Char avec Gisèle Celan-Lestrange (1969-1977). Éditions Gallimard, Paris 2015.]
aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne
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