So wie die Wörter in der alternden und sich verändernden Welt ihre Bedeutung wechseln, sogar verlieren können, ist es offenbar auch mit den Gesten. Obwohl man die Körpersprache für verlässlicher, konservativer halten möchte als die doch eher flüchtigen Wortdinge.
Aber wenn ich um zehn, fünfzehn Jahre oder gar in meine Jugend zurückdenke, bestand die Geste des Winkens, zur Begrüssung wie zum Abschied auch, darin, den Arm bis auf Kopfhöhe zu heben und die Hand, mit geschlossnen Fingern, auf und ab zu bewegen – auch eine Art zu nicken. Kinder haben dafür oft, heftig rudernd, den Unterarm eingesetzt – auf und ab; auf und ab. Der Gruss als Zuneigung.
Inzwischen ist diese althergebrachte Geste abgelöst, ersetzt worden durch ihr Gegenteil. Statt auf und ab geht die Bewegung jetzt hin und her. Wenn Cathy K. mir aus ihrem VW zuwinkt, schwenkt sie ihren rechten Unterarm wie einen Scheibenwischer – eine Geste, die früher mal (wie das Kopfschütteln) Verneinung, Ablehnung, Distanzierung signalisieren sollte.
So grenzt man sich heute gleich schon beim Grüssen gestisch vom jeweiligen Gegenüber ab. Der amerikanische Präsident im Katastrophengebiet oder der Papst ganz oben auf der Flugzeugtreppe hat diese Geste ebenso perfekt automatisiert wie der Olympiasieger oder die Schönheitskönigin vor den Fernsehkameras. Locker wedelt man mit der gespreizten Hand auf Augenhöhe, man sagt dazu Hallo! und verbittet sich auf solche Weise, immer recht freundlich, jede Annäherung.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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