Im Gedicht hat ein Wort dann seine höchste Richtigkeit, wenn möglichst viele seiner Bedeutungen – und gerade die am weitesten auseinanderliegenden – gleichzeitig zum Tragen kommen; wenn sie als Sinnbildungselemente eingesetzt werden, die kraft ihrer Assoziationsfähigkeit weiter reichen als diese oder jene vom Wörterbuch korrekterweise bereitgehaltne Einzelbedeutung.
Francis Ponge hat auf dieser Art von Richtigkeit beharrt, hat sie auch immer wieder – homophon, anagrammatisch, metaphorisch, etymologisch – erprobt in seinen poetischen Notaten. Dem entsprechend gab, zum Beispiel, sein Schreibtisch («table») auch ein Bild ab («tableau»), konnte ausserdem zu einer schwarzen Tafel («tableau noir») werden, auf der das zu beschreibende weisse Blatt seinen Platz fand; und als Konsole («console») war der Schreibtisch für den Dichter schon deshalb ein Trost («consolation»), weil die Sprache, zumal die französische, dies durch eine klare Assonanz beglaubigt.
Ich selbst bin in manchen meiner Gedichte solcher Richtigkeit auf der Spur. So kann «Naht» auch für «naht» (zu nahen), «wunder» für «Wunder», «wahr» für «war» (zu sein) stehn oder jedenfalls implizit – durch klangliche Assoziation – darauf verweisen: «Geplatzte / Naht zwischen / Niete und Nut. Bleibt aber / wund der Punkt und / immer wahr der Klang.» In «Versprechern» mag ein Versprechen anklingen, in der «Sucht» eine Suche sich abzeichnen, und ein «Eiliger» kann sich unversehens als Heiliger entpuppen. Das Wort wird so zum Ort, wo Bedeutungen sich kreuzen und neuer Sinn aufkommt.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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