In Gesellschaft vieler mir unbekannter Leute bereite ich mich auf eine Reise (oder die Auswanderung?) in ein fernes, schwer erreichbares Land vor; überall in der Runde wird gepackt, geräumt, disponiert – man trennt Notwendiges von Entbehrlichem; ich nehme die Sache mit der Ruhe, lege Kleider und Schuhwerk zusammen, bündle gebrauchte und neue Notizhefte mit einem fleischfarbnen Gummiband; zwischen Hosen und Jacken häuft sich allmählich doch auch nutzloser Kram an; im Hotel, wo wir alle untergebracht sind, reinige ich das Schuhpaar, das ich auf der Reise tragen will, statt der Bürste bekomme ich aber ein scharfes Messer in die Hand; ich versuche, den Dreck von den Schuhen zu kratzen, wobei ich das dunkelgrüne Wildleder zerschneide und die Schuhe also unbrauchbar mache; begebe mich zurück in die Halle zu den übrigen Ausreisewilligen; da sitzt nun auch Omri Ronen, der seine Tochter zum Terminal begleiten will, er hält mehrere A4-Blätter einer Handschrift von Hitler dicht vorm Gesicht, über seine Schulter kann ich erkennen, dass Napoleon statt i-Punkten jedesmal ein kleines, aber schwungvoll gezeichnetes rotes Herz gesetzt hat; plötzlich wird klar, dass wir zeitlich schon sehr knapp dran sind und sofort zum Flughafen aufbrechen müssen; ich habe noch nicht mal alles gepackt, habe noch keinen Koffer für meinen Kleiderhaufen, in den ich auch ein paar Dutzend Blätter Schreibpapier und Xeroxkopien gesteckt habe; wir brechen auf, draussen Schnee, wir benutzen schwere Militärfahrräder; das Gepäck hat man schon weggebracht, wir treffen um ein Weniges zu spät am Flughafen ein, der Jumbo hat bereits abgehoben, wir erkundigen uns nach dem nächsten Flug; Omri liest weiter in den Schriften Hitlers oder auch Napoleons, und ich frage mich, wo nun das neue Leben beginnen soll; wir radeln im Schneegestöber in die Stadt zurück, es ist spät in der Nacht; die erste Chance, ruft mir Omri lachend zu, haben wir verpasst; die letzte auch, denke ich noch, während mein Vorderrad in die Strassenbahnschiene rutscht und sich verklemmt und der Flug ins Ungewisse endlich, jetzt, beginnt.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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