Zu den grössten Irritationen, die ein Text – ein literarischer wie ein wissenschaftlicher – auslösen kann, gehört der Entzug von Bedeutung (Hermetismus) und die Anonymität der Autorschaft. Ich habe dazu, bloss konstatierend, in Freie Hand ein paar Sätze notiert, die ihrerseits Irritation ausgelöst haben; in einem Interview, das Jonathan Cott mit Glenn Gould geführt hat, lese ich jetzt: «Mich fasziniert die Tatsache, dass die meisten unserer Werturteile damit zusammenhängen, dass uns die dazugehörige Identität bewusst ist; wir neigen dazu, furchtbare Angst davor zu bekommen, ein Urteil zu fällen, wenn wir die Identität desjenigen, der für ein Kunstwerk verantwortlich ist, nicht kennen.» Es scheint, dass Texte nur dann «ernst» genommen werden und «richtig» funktionieren können, wenn sie durch den Namen, die Person, das Leben, die geographische und gesellschaftliche Umgebung des Autors beglaubigt sind. Womöglich macht dieses Kriterium auch den Unterschied (die Unterscheidung) zwischen sogenannter Volks- und Hochliteratur aus; dass es über Jahrhunderte hin auch die Diskussionen zum Werk und zur Person Homers bestimmt hat, ist bekannt. Doch weshalb die Fixierung von Autorschaft ausserhalb des Texts von Laien wie von Fachleuten für so fundamental wichtig gehalten wird, bleibt – für mich – fraglich.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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