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BIBEL
BUCH BIBLIOTHEK BAU-WERK
(vgl.
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(vgl. BIBEL |
Was Gogol an der Bibel, an der »Odyssee«, an klein- und großrussischen Chroniken über alles schätzte – daß sie »ohne Ende, ohne Anfang« waren – sollte auch das von ihm geplante Buch kennzeichnen, in welchem er die Welt zu resümieren gedachte, ein zur Bibliothek erweitertes Buch, an dem er in der Folge auch tatsächlich zeitlebens (bis zu seinem Hungertod) arbeitete, das ihm jedoch nicht zu jenem vollkommenen Bau-Werk geriet, durch das er sich von der Menschheit, ja vom Menschsein schlechthin zu erlösen hoffte, sondern zu einer labyrinthischen Ruine mit zahllosen Wehr- und Aussichtstürmen, in deren Verliesen er sich schließlich verirrte und verlor. Das Gogolsche Buchprojekt war von einer Ambition getragen, die – im harmlosen Tarnaufzug der imitatio Christi – nichts weniger erreichen wollte als eine zweite Weltenschöpfung: das Ganze nochmals von vorn. Das Unternehmen erinnert nicht zuletzt an den von Borges rapportierten Versuch chinesischer Kartographen, die Wirklichkeit der Welt durch originalgroße Abbildung der »Welt« auf dem Papier nicht nur darzustellen, sondern erst eigentlich zu schaffen.1 »Die Welt«, so heißt es bei Gogol, »muß vorgestellt werden in eben der kolossalen Größe, die sie in Wirklichkeit hatte, sichtbar werden müssen jene geheimnisvollen Wege der Vorsehung, von denen die Welt auf so unbegreifliche Weise gezeichnet ist. Das Interesse muß unbedingt bis zur höchsten Stufe gesteigert werden, so daß der Leser nicht imstande sei, das Buch zu schließen … – und täte er es dennoch, so höchstens, um es abermals von vorn zu lesen.« Als Künstler hat sich Gogol »über die Natur gestellt«, um das Ganze der Welt – zurück! – in Kunst zu verwandeln. Die göttliche Schöpfungstat ist in erster Instanz die Leistung eines »genialen Architekten«, und von daher wird auch klar, weshalb Gogol seine Poetik – zumindest dort, wo er ernst macht damit – in architektonische Metaphern faßt, klar auch, daß er sich selbst als den neuen Weltbaumeister (oder Weltmeister im Bauen) imaginiert, als Landschaftsgärtner und Geschichtsarchitekten: die höchste Kunst ist die Baukunst, und alle Baukunst – Poesie. »Genie« und »Gott« – bisweilen (selten) glaubt Gogol beides in einem zu sein: »Eine Leviathan-Geschichte schwebt mir noch vor. Ein heiliger Schauer überläuft mich schon jetzt, wenn ich an sie denke … Das eine und das andere aus ihr zeigt sich mir schon in Wortgestalt, im Satzbau … Göttliche Minuten genieße ich … Dabei … Jetzt bin ich ganz in die ›Toten Seelen‹ vertieft. Riesig, gewaltig ist mein Werk, und das Ende wird so bald nicht erreicht sein…«2 – Gogol brach das Experiment ab, sobald er die Gewißheit hatte, daß es ihm gelingen würde (kein Versagen! wieder die Bescheidenheit!): »Mir fehlt die Zeit zum Fertigzeichnen …« Um nicht der göttliche Architekt werden und etwas schaffen zu müssen, das seiner Kunst erreichbar gewesen wäre, verwarf Gogol sein poetisches Werk und wagte, nochmals, das Unmögliche: als Dichter emigrierte er ins Schweigen, verschrieb sich dem Nutzen und damit der Vergänglichkeit. Sein immenses Buch – einst imaginäre Universalbibliothek, nunmehr eine Handvoll warmer Asche – befand er für zu leicht; heute ist es in aller Welt zerstreut. 3 Und bitte: »Das Fehlende könnt ihr nach Eurer Phantasie ergänzen.« |
aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.
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