Beim Übersetzen; zum Übersetzen ( I.11 )

Ich füge hier, zur Ergänzung und Erhellung, meine Lektürenotizen zu Alain Robbe-Grillets letztem Roman „Die Wiederholung“ ein, dessen französische Originalausgabe unter dem Titel „La reprise“ erschienen ist. In diesem Buch wimmelt es geradezu von Doppelgängern aller Art, nicht zuletzt von solchen, die als (unübersetzbare) Lautphänomene oder Klanggestalten auftreten und auch nur als solche Bestand haben.
Die hier auf die Spitze getriebene sprachinterne Doppelgängerei beginnt mit dem Werktitel, der für das im Text angewandte Wortpaarungsverfahren als programmatisch gelten kann. „La reprise“, ein schlichtes Wort mit allerdings großer Bedeutungsvielfalt, steht zunächst für „Wiederholung“ und deutet in der Tat an, dass in dem späten Roman zahlreiche Themen und Motive aus früheren Werken wiederholt, das heißt erneut aufgegriffen und ausgeführt werden. – Das Titelwort bezeichnet aber außerdem so unterschiedliche Vorgänge und Gesten wie „Neubeginn“ oder „Nachvollzug“, „Zurücknahme“ oder „Aufschwung“ u.a.m. Durch die Wiederholung wird ein Gleiches immer wieder als ein Anderes vergegenwärtigt, und eben dadurch, dass es wiederholt wird, gewinnt es – nach Kierkegaards „Wiederholung“, der das Motto zu „La reprise“ entnommen ist – die Qualität einer „Erinnerung in vorwärtiger Richtung“.

Der zentrale Erzählimpuls geht in „La reprise“ nicht vom Icherzähler als handelnder oder sprechender Person aus, sondern von dessen Namen, genauer: von der Lautgestalt seines Namens, der ständig variiert und als reiche Assoziationsquelle genutzt wird: „Henri Robin“, Klangmaske und damit lautlicher Doppelgänger des Autors Alain Robbe, ist auch „H. R.“ (in französischer Aussprache „Asch-Er“, also Ascher), tritt als geheimdienstlicher Kundschafter unter diversen Pseudonymen auf, trägt u.a. auch den Zwillingsnamen „Markus“ und „Walther von Brücke“ (d.i. französisch „Dupont“ – du pont = von der Brücke – in Robbe-Grillets früherem Roman „Les gommes“), ist mit einer Geliebten namens Joëlle Kast (Doppelgängerassoziation: Jokaste) zugange und findet sich unvermittelt in der Rolle des Ödipus wieder.
Lautliche Doppelgängereien dieser und ähnlicher Art finden sich in „Die Wiederholung“ zuhauf, sie bleiben im Wesentlichen auf Personen- und Ortsnamen beschränkt, lassen beim Leser, trotz ihrer Fülle und klanglichen Variationsbreite, mehr und mehr die Einsicht aufkommen, dass Robbe-Grillets zahlreiches Romanpersonal letztlich doch nur aus einem Paar, nämlich dem (einen) Erzähler und seiner (einen) Geliebten, die nur eben unter verschiedensten, lautlich subtil aufeinander bezogenen Namen ein kaum entwirrbares Handlungsgeflecht – wie Spinnen ihr Netz! – aus sich hervorbringen …

Mit Rückgriff auf den Dichter und Dichtungstheoretiker Gerard Manley Hopkins ließe sich vielleicht sagen, dass überhaupt „alles Formale“ an literarischen Texten auf „das Prinzip des Parallelismus“ zurückzuführen sei – die Metapher, die Parabel, die Parodie ebenso wie die Alliteration, die Assonanz oder, nächstliegend und offenkundig, der Endreim.
Dichterische Verfahren wären dann wohl durchweg als doppelgängerische Prozesse zu begreifen. Doch nicht bloß in der Kunstliteratur sind solche formalen Paarbildungen von grundlegender Bedeutung, auch in der Alltagssprache – auf der gesamten Bandbreite zwischen Kalauer, Liebesgeflüster und Werbespruch – haben sie ihre bestimmende, ihre unverzichtbare Präsenz.

 

aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00