Höchst einprägsam, dazu höchst aufschlussreich berichtet Gerhard Falkner von seiner Übersetzungsarbeit an Mark Z. Danielewskis Romanwerk „Only Revolutions“ (Stuttgart 2012; „Volltext“, 2012, III), und mehr als das – von seinen Siegen und Niederlagen bei der Suche nach Wort- und Satzbedeutungen, nach Sub- und Kontexten, nach klanglichen oder semantischen Analogien zwischen Original- und Zielsprache. Bloß einen „Bruchteil der Schwierigkeiten“, die ihm zwei Jahre lang „bis ans Kinn reichten“, führt uns Falkner anhand ausgewählter Beispiele vor Augen, doch unschwer kann man sich vorstellen, wie problematisch die Arbeit insgesamt gewesen sein muss, für ihn selbst wie auch für seine („meine“) Frau und seine („meine“) drei Assistenten, die ihm beim Recherchieren und Redigieren behilflich waren; er schreibt dazu mit blumiger Bekenntnishaftigkeit: „… sobald wir uns nach [einer] Lösung streckten, um den Sinn zu pflücken, wirbelte ihn ein Sturm von gegensätzlichen Bedeutungen empor zu den schattigen Wolken, und sobald wir uns nach ihnen bückten, um die Zunge zu kühlen, schwand der in Mehrdeutigkeit versiegende Sinn dahin.“
Man versteht, dass für solches Ungemach nur die stärksten Begriffe und Vergleiche adäquat sein können – Falkner spricht von Extremsport und Zwangsarbeit, beklagt seine übersetzerischen Tantalosqualen, erinnert sich gar an eine wahre „Hölle“, die er „in dieser Übersetzung durchwandert habe“. Angesichts solcher Leidenswege ist man denn doch erstaunt, mit welcher Luzidität und mit wieviel Selbstironie er von seinem „Übersetzungs-Gulag“ Zeugnis ablegt. Bedauerlich bleibt allerdings, dass seine Fronarbeit offenbar ganz ohne Lust und Spass am Text vonstatten ging.
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Zu leisten war das schier Unmögliche: Die Übersetzung eines hochkomplexen Erzähltexts, der gleichermaßen als Klangereignis und als visuelle Sensation angelegt ist, will heißen: als ein Sprachkunstwerk, das narrative, poetische, typographische und ikonische Elemente zu einer intermedialen Komposition zusammenführt. Dass diese Komposition sowohl in Buchform wie auch in audiovisueller Aufarbeitung (http://www.onlyrevolutions.com/) zu überzeugen vermag, sei hier schlicht festgehalten als Beleg dafür, dass der Autor ebenso sorgfältig auf die akustischen wie auf die optischen Qualitäten seines Texts geachtet hat, den er gleichwohl in konventioneller Manier als „Roman“ (novel) ausgibt. Konventionell „romanhaft“ ist allerdings nur der erzählerische Grundriss des Werks, eine lovestory zwischen zwei Halbwüchsigen, Hailey und Sam, denen je einhundert Jahre an Erzählzeit zur Verfügung stehen, Sam von 1863 bis 1963, Hailey von 1963 bis 2063. Chronologisch können die beiden mithin – wie so viele Liebespaare der Globalliteratur – nicht zusammenfinden, anderseits steht ihnen, den Sechzehnjährigen, sehr viel eigene Zeit zur Verfügung, Zeiten, die sich über ferne Vergangenheiten wie über ferne Zukünfte erstrecken, Zeit, die sich kraft des Erzählens als fiktionaler Raum entfaltet.
Wer wie Danielewskis Protagonisten über die Souveränität der ersten Person Einzahl verfügt, kann sagen und durchsetzen, was er will, kann auch sein, was er will – Person, Gegenstand, Idee, Wort. Sam: „Meine feurige Bergspitze schreit: / – Er!.. / Ich werde nichts opfern. / Denn es gibt keine Länder. / Außer mir. Und es gibt nur / eine einzige Grenze. Mich.“ Der Held, das Subjekt, das Ich des Texts kann sich und dem Leser alles zumuten, darf alles tun, außer zu sterben. „Ich bin tausend September. Und sie ist / alle Meere im Osten, wenn die Tanker sinken.“ Sic! Im fiktiven Raum des Romans ist das erzählende Ich allmächtig und unsterblich.
Das war schon immer so. Bei Danielewski werden Allmacht und Unsterblichkeit in jeder Hinsicht (man könnte auch sagen: rücksichtslos) ausgereizt, dies freilich ohne jedes Pathos, ohne Grandiositätsanspruch, jedoch bis ans Limit der Trivialität, der Peinlichkeit, der pubertären Angeberei und Sentimentalität. Infinite jest scheint das einzig valable Lebensziel zu sein, egal, wie man’s erreicht, ob bei endlosen Autofahrten mit ständig wechselnden Fahrzeugen und Anlaufstellen, beim Liebemachen, beim Sprücheklopfen, beim Schach- oder Billardspiel, bei kollektivem Blödeln und Saufen. Wie auch immer.
Eine narrative Entwicklung gibt es nicht, es gibt bloß „revoluierende“ Ereignisse, only revolutions, die ebenso hastig wie präzise abgespult werden, knapp gefasste, meist leerlaufende, meist pointenlose Episoden, die sich allmählich zu einer wimmelnden Permanentszene fügen. Was auf dieser Szene im Umfeld der beiden unheldischen Helden kreucht und fleucht – eine Vielzahl von Pflanzen, Tieren, Zombies sowie technischen Objekten aller Art –, ist letztlich nichts anderes als ein Gemenge von Namen und Begriffen, ist wabernde Sprache, sind Wortdinge, die sich in permanenter „Revolution“ befinden, die immer wieder neue Verbindungen eingehen und so auch immer wieder neue Vorstellungen, Assoziationen, Sinnbildungen provozieren.
Solchen Objektcharakter hat auch der Text als Ganzes. Danielewski „verbucht“ das Geschriebene zu einem Leseobjekt, das vielfach gedreht und gewendet werden muss, damit die Lektüre stattfinden und der Text sich erschließen kann. Was vorliegt, ist ein Janusbuch, das von vorn nach hinten und – nach einer Drehung um 180° – von hinten nach vorn zu lesen ist, bei dem aber auch zwischen Unten und Oben gewählt werden kann, da auf jeder Seite zwei gegenläufige, das heißt um 180° gegeneinander gekehrte Texte gleichen Umfangs abgedruckt sind. Man liest also zunächst wie üblich von oben nach unten, bis der Text in der Seitenmitte endet, wonach man das Buch mit halber Kreisbewegung umdreht, um wiederum oben mit der Lektüre zu beginnen beziehungsweise fortzufahren. In die Marginalien des solcherart konzipierten Lauftexts rückt Danielewski in Kleinstschrift – jeweils rechts und links vom Falz – Schlag- und Titelzeilen aus der amerikanischen Tagespresse ein, die in chronologischer Abfolge seit 1863 bis 2005 regionale, nationale und globale News registrieren und somit einen linearen Ausgleich schaffen zur sprunghaften Erzählzeit des Romans.
Zu den zahlreichen typographischen Formalismen des Autors gehört (nebst Farbdruck, Großdruck oder diversen Schrifttypen) die besondere Hervorhebung des Buchstabens O beziehungsweise der Ziffer 0. Die beiden Zeichen – schon im Titel Only RevOlutiOns kommen sie dreimal vor – stehen bei Danielewski für den Kreis, der ja auch die Gesamtanlage des Texts mitbestimmt; sie werden im Druck durch wechselnde Färbung markiert, sollen an die beiden Os im lateinischen Wort für „Mensch“ (hOmO) erinnern, an die beiden durchgestrichenen Os (00) an öffentlichen WC‘s, an die sogenannte liegende Acht, die als Lemniskate (∞) die Unendlichkeit bezeichnet, aber auch – sehr häufig im Text – an „goldene“ oder „grüne“ Pupillen, an Armringe und Armbänder unterschiedlichster Art oder schlicht an „DooOOOoooOOOooonner“, obzwar nur in deutscher Lautung.
Solche und ähnliche skripturale Formalien werden für den Übersetzer erst dann relevant, wenn sie sich auf die Bedeutungsebene des Texts auswirken. Das ist zum Beispiel dort der Fall, wo Danielewski das Personalpronomen „us“ (uns) mit dem Kürzel „US“ (für USA) zusammenführt, was die beiden in Ichform schwadronierenden Protagonisten als „typische Amerikaner“ ausweisen soll. Gerhard Falkner gibt die Homophonie im Deutschen durchweg mit „UnS“ wieder: „Und wenn die Sanften UnS / aus dem Weg gehen, seufzen wir. Und wenn die Zornigen UnS davonfahren, lächeln wir.“ Mehr als eine Notlösung ist das nicht; noch mehr ist aber auch gar nicht zu erreichen, und notwendigerweise geht damit die Doppeldeutigkeit des Kürzels verloren: „Flieg, Baby. Lass UnS nie wieder anhalten.“ Bloß in Ausnahmefällen kommen beide Bedeutungen auch auf Deutsch mehr oder minder gleichrangig zum Tragen: „Lasst UnS jetzt Frieden schließen.“
Ein typographisches Übertragungsproblem stellt sich auch bei dem diskreten Neologismus „allone“, der zwei gegensätzliche Begriffe – „all“ (alle, alles) und „one“ (eins, einer) – kontaminiert und zugleich das lautähnliche Wort „alone“ (für allein) in sich schließt. Was im Englischen nur mit Hilfe des Neologismus zu bewerkstelligen ist, geht im Deutschen glatt mit einem und demselben Begriff durch: „allein“ (in der Bedeutung von alone) vereint in sich den Gegensatz von „all[es]“ vs. „ein[s]“, kann also ohne jedes Defizit auch für allone (all-ein) stehen und ist folglich auf die homophone Ergänzung nicht angewiesen. Mit andern Worten: Die Zielsprache leistet hier mehr als die Herkunftssprache, und dem Übersetzer (wie dem deutschsprachigen Leser) kommt gewissermaßen ein Problem abhanden, für dessen Lösung es im Englischen eine lettristische Hilfskonstruktion braucht.
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Auch sonst bieten sich bei der Übersetzung von Mark Z. Danielewskis sprachspielerischem Romanwerk Probleme zuhauf, Form- und Strukturprobleme, die jedem Nachdichter lyrischer Texte vertraut sind – vorab die Nachbildung von End- und Stabreimen, von Assonanzen, rhythmischen Verläufen oder starken Neologismen. Dazu kommt die Besonderheit, dass der Fließtext pro Doppelseite aus exakt 4 mal 90 (mithin insgesamt 360) Wörtern bestehen soll, entsprechend der Gradeinteilung des Kreises, eine numerische Vorgabe, die weit anspruchsvoller ist, als man vermuten möchte.
Falkner berichtet davon, wie Eigenheiten und Eigendynamik des Deutschen den Umfang der einzelnen Textportionen im ersten „Hauptübersetzungsdurchgang“ unverhältnismäßig anschwellen ließen, so dass sie nachfolgend um das Vierbis Achtfache gekürzt werden mussten. Doch dies und noch viel mehr hat er mit seinen Zuarbeitern bravourös bewältigt, hat klangliche, metrische, metaphorische Konstrukte größtenteils souverän in die Zielsprache gerettet oder in der Zielsprache eigens nachgebaut, so dass man nun eine Textfassung zu lesen bekommt, die dem Original über weite Strecken adäquat, an einzelnen Stellen sogar überlegen ist, auch wenn Verlust und Verrat – naturgemäß – nicht immer zu vermeiden sind.
Wo Danielewski beispielsweise eine Zeile mit vier stabenden Wörtern voll ausstattet: „What wroth & withering woe …“ bringt Falkner als deutsche Entsprechung „Welch grimmiges & vernichtendes Weh …“, was man weder klanglich noch rhythmisch und eben auch nicht buchstäblich für eine gelungene Entsprechung halten kann – eine deutlich bessere und definitiv überzeugende Lösung bietet sich allerdings nicht ohne Weiteres an. Da wir grade bei den Anlauten sind, darf bei den Übersetzern vielleicht nachgefragt werden, weshalb sie die eigenwillige, auf kein erkennbares Prinzip zurückführbare, aber doch sehr auffällige Großschreibung des Autors im deutschen Text nicht markieren. Da das Deutsche, im Unterschied zum Englischen, die Hauptwörter regulär mit großem Anfangsbuchstaben schreibt, hätte hier eine Lösung gefunden werden müssen, um die Sonderstellung gewisser Begriffe im Originaltext erkennbar zu machen. Wo Danielewski „Friede“ (Peace) oder „Welt“ (World) innerhalb des Satzes irregulär mit Großbuchstaben schreibt, hätte man die orthographische Abweichung beispielsweise mit zwei Versalien bezeichnen können (FRiede, WElt), um den gleichen Effekt zu erreichen.
Viel einfacher sind demgegenüber die nonverbalen Elemente des Originaltexts in der Übersetzung zu bewältigen – die typographischen Auszeichnungen, die Diagrammstrukturen, die verschiedenfarbigen Lineaturen u.ä.m. Selbstverständlich ist das allerdings nicht, auch wenn es eben tatsächlich so ist. Denn Formen wie Farben werden – man weiß es, denkt aber gewöhnlich nicht darüber nach – in unterschiedlichen Kulturen oftmals auch unterschiedlich qualifiziert: Weiß, Grün, Schwarz oder Kreis, Dreieck, Zickzack können durchaus abweichende, sogar gegensätzliche „Bedeutung“ haben und müssten, von daher, entsprechend (und eigens) aus der jeweiligen Herkunftssprache in die jeweilige Zielsprache „übertragen“ werden. Im Fall von Danielewski bleibt dies freilich irrelevant, da Formen und Farben in seinem Drucktext keine inhaltliche beziehungsweise symbolische Bedeutung haben, sondern ausschließlich graphisch eingesetzt werden.
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Bleibt die Frage nach Bedeutung und Sinn von Danielewskis ingeniösem Wortkunstwerk beziehungsweise nach der „Botschaft“, die in den vorgegebenen formalen Raster eingelassen ist.
Im Hinblick auf die „Verbergungsstrategien“ des Autors einerseits und den Ertrag eigener faktographischer Recherchen anderseits beklagt Falkner ein irritierendes, ja geradezu lähmendes Überangebot an Information. Zu diesem Überangebot scheint in erster Linie das umfangreiche Material beigetragen zu haben, das er mit seinen Assistenten aus dem Internet gewonnen, dann aber aus unterschiedlichen Gründen wieder verworfen hat. Doch wie wird man das einmal Erkannte und zu positivem Wissen Gewordene wieder los? Es handelt sich dabei um Daten, die zur Klärung semantischer Subtexte erhoben wurden – historische Ereignisse und Personen, literarische Zitate oder Anspielungen, spezifisch „amerikanische“ Realien, Alltagsmythen, Redensarten usf., die Danielewski durch Vergleiche und Metaphern indirekt vergegenwärtigt, was aber natürlich dann nur funktionieren kann, wenn es dem Leser gelingt, die indirekten, oftmals bewusst irreführenden Hinweise zu überprüfbaren Fakten in Bezug zu setzen. Schafft er dies, so kann er von sich behaupten, er habe „verstanden“, was der Autor an dieser oder jener Stelle „zu sagen“ hat.
Doch das ist eher die Ausnahme denn die Regel. Falkner rapportiert dazu einen Kommentar seiner Mitübersetzerin Nora Matocza, die während der gemeinsamen Arbeit am Text angesichts der Verständnisprobleme ständig geschwankt habe zwischen „Verzweiflung“, „Raserei“ und „Abscheu“: „Ich weiß fast nie, wovon er [Mark Z. Danielewski] spricht und worauf er hinaus will, und wenn da zum Beispiel ,lime‘ steht, dann weiß ich nicht, ob Linde, Limette, hellgrün, Kalk oder sonst was gemeint ist.“ Und, drastischer noch, der Forschungsassistent Donald S. Peterson: „I have no clue what the fuck he is talking about …“
Das Falkner-Team hat für die hermeneutische Abklärung pro Begriff oder Name oder Datum höchstens zwei Stunden veranschlagt, was für jede übersetzte Seite Dutzende von Arbeitsstunden ausmachte und gleichwohl auf eine Vielzahl von Fragen keine plausible Antwort erbrachte. Oder auch umgekehrt: Zu zahllosen Antworten, die Danielewski in seinem Roman verschlüsselt hat, war keine passende Frage zu finden. Das diesbezügliche Dilemma besteht darin, dass hier zwar Uneindeutigkeit beziehungsweise Mehrdeutigkeit angestrebt wird, dass aber nur durch eindeutige Identifizierung der darin verkappten Realien das Schimmern und Schillern verunklärter Anspielungen zu bewirken ist. Das Dilemma bleibt unauflösbar.
Was tun? Falkner und die Seinen hätten sicherlich den Autor befragen können, haben dies aber offenbar unterlassen. Warum? Vermutlich darum, weil sie erkannten, dass es bei Danielewski und speziell bei „Only Revolutions“ letztlich nicht darauf ankommt, den Text faktisch zu verstehen, vielmehr darauf, ihm aus Kritiker- oder Lesersicht zu adäquatem Sinn zu verhelfen. Selbst wenn wir auf Anhieb wüssten, wer oder was mit „Moshoeshoe I.“ gemeint ist, mit „Velocipeds & Paris“, mit „Titokowaru“, mit „McGaffey“ und dessen „Staubsauger“ – was wäre gewonnen? Wir nähmen Fakten, Begriffe, Namen zur Kenntnis, die uns entweder bereits bekannt wären oder nach denen wir, falls wir sie noch klären müssten, wohl besser in der Wikipedia suchen würden als in einem Romantext.
Vermutlich hat es der Autor aber auch gar nicht darauf angelegt, uns zu belehren, uns also bestimmte Dinge zu verstehen zu geben. In einer Notiz zur amerikanischen Originalausgabe von „Only Revolutions“ (2006) hält er unzweideutig fest: „Dies ist ein fiktionales Werk. […] Die Gesamtheit des Romans – von Mechanik bis Motor bis Modus – ist ein Produkt auktorialer Phantasie.“ Dass dieser Hinweis in der deutschen Ausgabe fortgelassen wurde, ist eine beklagenswerte Unterlassung, denn er dementiert Falkners selbstgewisse Behauptung, wonach es sich bei dem Buch „um keine Novel, also um keinen Roman handelt“. Wenn Danielewski die „Gesamtheit des Romans“ als ein Phantasieprodukt ausweist, so bezieht sich das logischerweise auf alle Textelemente, eingeschlossen jene, die man für dokumentarisch halten könnte. Als Leser darf man sich dadurch ein wenig entlastet fühlen: nicht jedes Zitat, nicht jedes Datum, nicht jeder Ort, kurz – bei weitem nicht alles, was sich dokumentarisch ausnimmt, hat auch tatsächlich dokumentarische Qualität.
Dass Dokumente problemlos erfunden werden können, ist weltliterarisch zur Genüge belegt und macht einschlägige Recherchen wie die von Falkner praktizierte Quellensuche zu einem überflüssigen Unterfangen, das die künstlerischen Sachverhalte eher verdunkelt denn erhellt. Die Poetizität von Danielewskis Prosa wird nicht auf der Bedeutungsebene, sondern vorab auf der Klangebene des Texts greifbar, und je weniger wir die Bedeutung gewisser Wörter oder Wortverbindungen zu erfassen vermögen, je fremder, je unbegreiflicher sie uns sind – desto mehr entfaltet sich, nicht anders als bei einem Zauberspruch, ihre magische Wirkung: „ – Gib die Zartest’, knurrkwurren / zähnefletschende Coydogs, die jeden zerreissen, / der sich vorbeiwagt. Ich wag es. / … / DREI ABGETACKELTE KUHABWATSCHER / ziehen ihre Pissdohlen. Zielen auf mich.“
Was soll man da verstehen wollen? Wo steckt die Bedeutung dessen, was der Autor allenfalls „zu sagen“ hat? Doch es geht hier nicht um die Bedeutung und deren Erklärung. Es geht darum, sinnlich wahrzunehmen, was dasteht, was verlautet. Nicht verstehen und wissen wollen kann das Ziel der Lektüre sein, vielmehr sind wir vom Autor eingeladen, auf den Text hinzusehen, ihm nachzuhören, uns mithin einzubringen in einen Sinnbildungsprozess eigener Art, der über geläufiges Lesen und rasches Kapieren weit hinausgeht. Aber auch weit hinaus über noch so angestrengtes Knobeln, das im Fall von „Only Revolutions“ – nicht anders als bei Kafka, Queneau, Nabokov – immer wieder zur Einsicht führt, dass des Rätsels Lösung das Rätsel als solches ist.
[Mark Z. Danielewski, Only Revolutions. Aus dem amerikanischen Englisch von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Stuttgart 2012; Orig.: M. Z. D., Only Revolutions. The Democracy of Two Setout & Chronologically Arranged. New York 2006. – Gerhard Falkner, „Übersetzen in Pfahlbauweise und die Grundmauern der Pergamon Poems“, Volltext, Nr. 2, Wien 2012; ders., „Mon Dieuleuze! Translating Mark Z. Danielewski’s Only Revolutions für gehobene, meta-inhaltliche Kreise“, Schreibheft – Zeitschrift für Literatur, Nr. 79, Essen 2012.]
aus Felix Philipp Ingold: Überzusetzen
Versuche zur Wortkunst und Nachdichtung
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