Alles Neue, überhaupt alles, was wir zu erwarten, zu befürchten haben, kommt … droht von unsern Grenzen her, wird hereinbrechen von den Rändern, um die Mitte zu zerschmettern.
Und … aber die Mitte sind wir; das Wild der Welt.
Tibet, das Banat, die Malediven in der Innerschweiz.
Wir jagen, wir werden gejagt; die Welt nimmt ab, die Zeit nimmt überhand, überall Zukunft. Immer nur Mittag; diese Helle, diese ruhige Glut, die unsern Schatten einschmilzt, die uns schwer macht und die Erde leicht, sie steigt.
Nehmen wir jene Wolke als Beispiel, sie hat kein bestimmbares Zentrum; um sie als ein Ganzes zu erkennen, müssen wir uns an ihre Ränder halten … an Ihren flatternden, vom Wind zerschlissenen, unablässig sich auflösenden, immer wieder anders sich formierenden Umriß, der eben jetzt noch einmal, jäh, in sich zusammenstürzt und so sich selbst zur Mitte wird.
Und wir.
Wir sind, was wir sehen. Dein Blick gibt meinen Blick; sehend werden wir, was wir sind, während seitlich, am äußersten Rand des Gesichtsfelds, die Geschichte in bunten Spritzern und Schlieren vorbeizieht, verwischt wird vom blitzschnellen Lidschlag.
Was für ein Feuerwerk überm mittäglichen Abgrund.
Es ist immer jetzt, nie ist es noch nicht oder nicht mehr. Ganz bin ich nur, wenn ich ganz Aug bin; blind für alles.
aus: Felix Philipp Ingold: Freie Hand
Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder
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