A. H., eine beginnende Autorin, die noch kein Buch, aber hin und wieder eine Lesung hat, berichtet mir, was sich tut, wenn sie schreibt; es hört sich an wie ein Song … etwa so: »Ich gehe ins Wasser und habe kein Prinzip, wie ich dann schwimmen werde, und weiß auch nicht, auf welche Steine ich dort stoßen werde. Aber ich schaffe mir schon so etwas wie eine Grenze, bis zu der ich fliegen darf, an der ich mich reiben muß wie ein Maler, der seine Farbe aussucht. Prinzipiell aber ist es so, daß man nicht chronologisch arbeitet, von Stück zu Stück. Es ist immer ein paralleles Wachsen in unterschiedlichen Abschnitten, ein Putzen, Raffen, wieder Überdenken, Umkrempeln; ein ständiges Arbeiten mit dem Material bis zum letzten Augenblick, wobei der Anfang nicht fertig sein kann, solange der Schluß nicht stimmt. Und manchmal ist es, denke ich, wie beim Komponieren von Musik. Man kommt an einen unvorhergesehenen Punkt. Aber das ist wie in der Natur, man muß das Unkraut wegrupfen, damit die Blüte Platz hat. Und dann ist es fertig, oh!, und es ist so durchsichtig, Das ist so wunderbar, so ein Abenteuer.« Und … aber wie kann jemand, der so spricht, noch schreiben wollen; lieber schreien.
aus: Felix Philipp Ingold: Freie Hand
Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder
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