– Zu Ernst Jandls Gedicht „Glückwunsch“ aus Ernst Jandl: der gelbe hund. –
ERNST JANDL
Glückwunsch
wir alle wünschen jedem alles gute:
daß der gezielte schlag ihn just verfehle;
daß er, getroffen zwar, sichtbar nicht blute;
daß, blutend wohl, er keinesfalls verblute;
daß, falls verblutend, er nicht schmerz empfinde;
daß er, von schmerz zerfetzt, zurück zur stelle finde
wo er den ersten falschen schritt noch nicht gesetzt –
wir jeder wünschen allen alles gute
28.7.78
Von der Kinder- oder Gastarbeitersprache mit „gewaltsamer Verformung auf der Wort- und Satzebene“ – so charakterisiert Ernst Jandl den Zyklus „der gelbe hund“ – ist in diesem strengen Gedicht mit seinen korrekt gebauten, weder deformierten noch vereinfachten Sätzen nichts zu merken. Eine Hypothese folgt auf die andere, jede erschreckender als die vorige. Besorgt, ja begütigend hofft der Dichter oder gibt zu hoffen vor, daß jeweils die Wendung zum Schlimmeren, die Eskalierung der Leiden unterbleiben möge, die er sich zugleich ausmalt.
Von der dritten Zeile an weiß der Leser, daß nichts dieser Mechanik des Schreckens Einhalt gebieten wird oder auch soll. Ließ noch die zweite Zeile, die als einzige vergebens nach einem Reim ausschaut, eine harmlosere Sequenz vermuten, so wirken die reichen Reime – zweimal „gute“, zweimal „blute“, zweimal „finde“ und der Binnenreim „zerfetzt – gesetzt“ – wie Garanten dafür, daß in diesem unheilvollen Geschehen nicht nur die Syntax in Ordnung ist, sondern auch Harmonie herrscht. Aber welcher Leidende, Blutende, Sterbende ist zugleich Garant der Weltharmonie, wenn nicht der Schmerzensmann selber? Eines von zwei Gedichten dieses Zyklus, die den Titel „Choral“ tragen, endet: „o haupt voll blut und wunden“; in „lamm gottes“ kommt Jesus in parodiertem herzhaftem Balladenton vor, dramatischer in „der fisch“. Im erwähnten Text, den er für den Umschlag schrieb, stellt Jandl fest, daß er in seine Gedichte „klägliche Reste“ seiner Vergangenheit aufnehme. Jesus ist von der Kindheit her ein solcher Rest. Doch da der Dichter von der „Unmöglichkeit der Zukunft“ überzeugt ist, kann sein Dichten nur Resteverwertung sein.
Die ersten und die letzten Zeilen wiederholen sich beinah. Wenn zuerst „alle jedem“ alles Gute wünschen und zuletzt „jeder allen“, so ist das nicht nur ein für Jandl typisches Durchspielen der Permutationen. Denn wer ist „jeder“, wer sind „alle“? „Jeder“ heißt „alle“ als Einzelne und deshalb meinem „ich“ näher. Da wir so gebaut sind, daß persönlich erlittene Schmerzen „jeden“ anders treffen als solche, die von andern erduldet werden, kennen wir zwei Welten: „ich“ und die übrigen.
Das fünfmalige „er“ steht nicht für ein „ich“, sondern dagegen: es ist Abwehr, Verdrängung. Es geht nur um jene, denen ich zwischen Mitleid und Schadenlust vergebens alles Gute wünsche. Der Voyeur, die Betroffenen – das sind zweierlei. Und doch: das Gedicht hebt an mit „wir“. Die Situation des „ich“ ist nicht nur meine, sie ist ein Plural, uns allen gemeinsam. Die nicht gewollte, ja, weggewünschte Identität zwischen mir und den andern, den Schmerz- und Todgeweihten, stellt sich dennoch her.
Die einzige unglaubhafte Hypothese ist die letzte: daß der Verblutende nachträglich den Weg zurückfinde. Doch solches „Hatte er nur dieses unterlassen, jenes vermieden“ ist nutzlose späte Reue, ist das uns vertraute Begehren eines Rückgängigmachens, das keine Not wendet und das niemals vermag, Geschehenes in Ungeschehenes zu verwandeln.
Wenn dieser Hohn, in dem verborgene und gleichzeitig offenbarte Ängste leben, ein „glückwunsch“ ist – wie klänge dann eine Jandlsche Verwünschung?
François Bondy, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982
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