Frank Lanzendörfer: Versensporn 16

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Frank Lanzendörfer: Versensporn 16

Lanzendörfer-Versensporn 16

TOTEM

Es singt eine
drahtamsel mit
neonäugigem choral
zwischen den zähnen

o fetisch aus
pflasterschein und eisensterben

Es pinkelt ein
puppenrabe betonierte
monde vom himmel in
zahnräder

o fetisch aus
pflasterschein und eisensterben

Es spuckt ein
glasphallus in die
fallenden hüften
der sterne

o eisenpflaster aus
fetisch schein und sterben

 

 

 

„leib eigen & fremd“ – Der Dichter Frank Lanzendörfer

Das bereits sechzehnte Heft der Lyrikreihe VERSENSPORN – Heft für lyrische Reize, die vom Verein POESIE SCHMECKT GUT e.V. herausgegeben wird, ist in dieser Woche erschienen. Es ist dem Dichter Frank Lanzendörfer, einem der Protagonisten der „inoffiziellen“ Literatenszene am Prenzlauer Berg, gewidmet, der 1988 in den Freitod sprang.
Frank Lanzendörfer, 1962 in Dresden Söbrigen geboren, stellt sich als Mensch und Künstler früh abseits der staatliche vorgegebenen Strukturen. 1984 gehört er in Berlin zu den Mitbegründern der Zeitschrift schaden, des späteren Zentralorgans der alternativen Künstlerszene. Sein Bruch mit der offiziellen Kultur, mit dem Unland DDR, in dem er sich „leib eigen & fremd“ fühlt, ist irreparabel; seine Fluchtbewegungen sind vielfach und radikal. Mit permanent wechselnden Wohnorten, mit häufiger Veränderung seines Äußeren versucht er, sich Festlegungen zu entziehen und ringt gleichzeitig um eine „schreibhaltung die mich einschließt“.
Kunst und Leben, beides ist für Lanzendörfer permanente ästhetische und politische Rebellion, rigoroser Ausbruchsversuch aus der ihn umgebenden Vormundschaft. Seine Texte sind Momentaufnahmen einer künstlerischen Existenz, radikale sprachliche Experimente, denen in trümmerhafter und klaustrophobischer Sprache die Suche nach Lebendigkeit eingeschrieben ist. Worte und Satzteile ragen ineinander wie Wrackteile nach einem Frontalunfall. Ein Ausreiseantrag wird abgelehnt; die Staatssicherheit ist allgegenwärtig und „bearbeitet“ den Einzelgänger intensiv und bewährt perfide. Der Resignation folgt der Rückzug in die totale Isolation, in das Verschwinden. Nach mehrmaligem langen und radikalen Fasten bis hin zu Halluzinationen, steigt Lanzendörfer am 5. August 1988 in einen Feuerwachtturm bei Marienwerder ein und springt in den Tod.

Tom Riebe, jenapolis.de, 14.7.2014

 

flanzendörfer – Schauspiel von Willi van Hengel uraufgeführt am 2.9.2021 in der Brache Zukunft OpenAir in der Brotfabrik.

März 1992.

Bonn. Bundestag. Bei Nacht. Während einer Korrekturpause legte sich mein Auge auf einen Artikel im Feuilleton der Zeit. Ein DDR-Poet mit einem schönen Namen… Frank Lanzendörfer, der einfach das rank und das Leerzeichen danach löschte und sich Flanzendörfer nannte… nach ein oder zwei Zeilen eines seiner Gedichte wusste man schon um die Radikalität seiner Sprache, ebenso wie um seine Anarchie bis ins Komma hinein und über den Gedankenstrich hinaus… – Leider, schrie irgendetwas tief in mir damals in jener Nacht, obwohl ich doch noch gar nichts über ihn wusste. Außer dass er sich 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, das Leben genommen hatte, mit einem Sprung (Flug?) von einem Feuerwachturm. Er hatte also mehr als nur das rank in seinem Namen gelöscht. Und das machte mich irgendwie traurig und wütend zugleich. Denn ich hätte ihn gerne kennengelernt. Rein aus dem Gefühl heraus.

25 Jahre später – nun selber in Ost-Berlin lebend – sprang mich dieses Gefühl bei einer Lesung im Prenzlauer Berg wieder an. Ganz plötzlich, wie aus einem Hinterhalt. Also machte ich mich daran, ihm auf meine Weise zu begegnen. Und so haben „wir“ dieses Theaterstück entstehen lassen – aus unseren nächtelangen Einsamkeiten.

Willi van Hengel, aus dem Programmheft zum Stück

Frank Lanzendörfer

In dem Stück geht es um den in der DDR tätigen und heute fast in Vergessenheit geratenen Schriftsteller, Maler, Filmemacher und Poeten Frank Lanzendörfer (1962–1988), der am 30. Dezember 1962 im Dresdener Stadtteil Söbrigen geboren wurde. Von seiner Familie wurde er „Professor“ genannt – und er selber nannte sich „Flanzendörfer“. Nachdem er eine Zeit lang in einer Wäscherei gearbeitet hat, absolvierte er von 1981 bis Mai 1983 seinen Grundwehrdienst in Marienburg in Sachsen; eine Zeit, über die er nachher wenig geredet hat. In dieser Zeit verfasste er seine ersten Gedichte und bildkünstlerischen Arbeiten in Form von karikaturistischen und ironischen Selbstporträts. Er nahm erste Kontakte zur Dresdner Kulturszene um den später als Stasimitarbeiter enttarnten „Kiste“ auf und beginnt einen Abendkurs an der Dresdner Kunstakademie, den er aber aus politischen Gründen abbrechen muss. Seinen ersten Text veröffentlichte er im Januar 1984 in der inoffiziellen Zeitschrift UND. Mitte 1984 zog er dann dauerhaft nach Berlin, wo er – wohnhaft unter anderem in der Straßburger Straße – gelegentlich als Kinderbetreuer arbeitete. Ende Sommer 1984 gründete er mit den Schriftstellern Leonhard Lorek und Johannes Jansen die Literaturzeitschrift schaden und wirkte an der Zeitschrift Bizarre Städte mit.
Ab Juni 1985 wird Lanzendörfer ins Visier der Staatssicherheit genommen – eine inoffizielle Mitarbeit scheitert daran, dass er, laut Stasi, „nicht über die notwendigen subjektiven Voraussetzungen“ verfüge. In seiner Abwesenheit ist eine Wohnungsdurchsuchung erfolgt und es ist belegt, dass er von der Stasi mehrfach schikaniert wurde, um ihn als inoffiziellen Mitarbeiter zu rekrutieren. So wurde er etwa mit dem Auto 30 km außerhalb von Berlin gebracht und dort mitten in der Einöde ausgesetzt.
Frank Lanzendörfer fühlte sich ständig verfolgt und beobachtet, sodass er fortan immerzu unterwegs, von Freunden zu Freunden, war.
Am 10. November 1985 stellt er einen Ausreiseantrag, der abgelehnt wird. 1986 fliegt er nach Leningrad. Seine einzige Auslandsreise. Zuvor borgte er sich von Johannes Jansen einen Wintermantel. Er selbst besaß keinen.
Seine expressionistischen, teils dadaistischen Gedichte und Essays sowie Zeichnungen mit Texten werden zunehmend kryptischer und entziehen sich – auch unter Einfluss von Musik und Drogen – dem „normalen“ Verständnis. Ab Ende 1987 zieht sich Lanzendörfer mehr und mehr aus Berlin zurück und „verschwindet“ in die nähere Umgebung in eine völlige Isolation. So wie er mit seiner Sprache an die Grenze (des Verstehbaren) geht, geht er auch mit sich und seinem Körper um: Er fastet sich fast zu Tode. In seinen Halluzinationen vernichtet er einen Großteil seiner Arbeiten, worunter auch Performance-Aufzeichnungen und Super-8-Filme gehörten.
Am 5. August 1988 klettert er bei Marienwerder in einen Feuerwachturm – nachdem er monatelang an einer Holzkonstruktion gearbeitet hat, um dort hinaufzukommen – und springt in den Tod.
Bis heute ist ungeklärt, ob Freunde in der Nähe waren (wie Peter Böthig und Klaus Michael im Nachwort zu Flanzendörfer: unmöglich es leben schreiben) oder gar dabei (wie wikipedia.de schreibt) waren. Frank Lanzendörfer hinterließ zwei Söhne, Karl (geboren 1985) und Richard Ruben (geboren 1987). Mutter ist Beate Ruben.
Da eine Menge der Werke von Frank Lanzendörfer zu seinen Lebzeiten vernichtet und auch mal eine Kiste Super-8-Filme, die am Straßenrand stand, von der Müllabfuhr entsorgt wurde, sind wenige seiner Werke erhalten. Von seinen Filmen ist nur noch Eisenschnäbelige Krähe erhalten, im Mitschnitt einer jugoslawischen Touristin, die eine Vorführung mitgefilmt hatte. Seine Gedichte und Zeichnungen wurden postum in Flanzendörfer: unmöglich es leben 1992 bei Janus Press (Herausgeber Peter Böthig und Klaus Michael) und in einer Ausgabe der Jenaer Literaturzeitschrift Versensporn veröffentlicht.

Willi van Hengel – unter Mitarbeit von Jesse Garon und Jens Heuwinkel, aus dem Programmheft zum Stück

 

Flanzendörfer – Die goldenen Gitarren von Willi van Hengel

 

Eisenschnäbelige Krähe von Frank Lanzendörfer
Einzig erhaltener Film – aus dem Nachlass von Thomas Günther. Das Original (Super 8) wurde 1987 in der Galerie Jörg Deloch, Schönhauser Allee 50, gezeigt und mit Video-VHS-Kamera abgefilmt. Das Originalmaterial wurde von Frank Lanzendörfer verbrannt.

 

FRANK LANZENDÖRFER

Es wird in der Welt in
keinem Land den guten Esser
neben dem Schlechtesser geben.
Du kannst um den Globus wandern.
Das gibt es nicht.
Das ist uns nicht passiert
und das geschieht dann auch
nicht bei all den anderen Nationen.

Peter Wawerzinek

 

Fakten und Vermutungen zu Versensporn
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