BÖSE STUNDE
dies gedicht ist kein parlament, es lebt
nicht vier jahre, sondern diesen augenblick, der nicht
wiedergewählt werden kann. dies gedicht
ist kein forum, in dem die zukunft hinausgeschoben
werden kann, auch kein konferenztisch, wo
aaaaaentschieden
wird, was ein konferenztisch ist. dies gedicht
ist auch kein versuch, die verlornen illusionen,
sich selbst, einen fragebogen, den geheimen
suff oder überhaupt etwas zu definieren. dies gedicht
ist keine instanz, an die man appellieren kann, es ist
auch nicht etwas, das greifen kann, was in den abgrund stürzt.
dies gedicht handelt auch nicht mit idealen oder waffen
oder gewissen oder mit sich selbst, es bittet auch nicht
um audienz und vergebung und etwas frist. dies gedicht
geht weder in die innere emigration, noch wandert
es aus, noch schlägt es eine andre richtung ein.
dies gedicht vertritt niemanden und nichts,
es schränkt nichts und niemanden ein.
ist es der tag der dichter, den es
nicht gibt? eine demonstration? hat es katzenjammer?
vielleicht
vielleicht.
dies gedicht kommt aus der vergangenheit, es geht
in die vergangenheit. und weshalb sollte es
zwischendurch sich selbst nicht in frage stellen?
und Erzähler hat Franz Hodjak lange auf der rumäniendeutschen Sprachinsel in Klausenburg ausgeharrt: Nun ist auch er den vielen Dichterfreunden, wie Werner Söllner, Klaus Hensel oder Herta Müller, gefolgt und nach Deutschland ausgesiedelt.
Hier hat sich Franz Hodjak mit seiner 1990 erschienenen Gedichtsammlung Siebenbürgische Sprechübung und mit seinen 1991 veröffentlichten Erzählungen Zahltag längst einen Namen gemacht.
„Was hier erzählt wird, ist nicht bloß leidvoll erfahren und exakt registriert, sondern auch so in Sprache gefaßt, daß es die Intensität und Kraft großer Dichtung gewinnt: Diese Texte simulieren Augen, Ohren, Hirn und Herz“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung über Franz Hodjak.
In seinen neuen Gedichten erweist er sich als Zeuge jenes Exodus, mit dem die Geschichte des siebenbürgisch-sächsischen Kultur- und Sprachraums endgültig zu Ende geht – und mit ihr auch ein Stück der eigenen Lebensgeschichte, die die rumäniendeutsche Wirklichkeit in die Verzweiflung des Gedichts getrieben hat.
Franz Hodjak erinnert Lebenssituationen einer untergegangenen Welt und bewältigt das Ausgesetztsein an neuem Ort – „und was es nicht / gibt, gibt dir die verlorne / sprache zurück.“
Das Gedicht ist Franz Hodjaks notwendiges Lebensmittel, elegisch in der Klage, aber vor allem auch absurd und witzig, voll bitterer Ironie und spielerisch-grotesk in Spott und Sarkasmus.
Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1993
Franz Hodjak, der 1944 in Hermannstadt geborene Lyriker und Erzähler, hat es in seiner Heimat, sich der Auszehrung rumäniendeutscher Kultur und Literatur widersetzend, länger ausgehalten als zahlreiche seiner Kollegen und Freunde. Erst 1992 folgte er ihnen und kam nach Deutschland. In der DDR war er auch vor dem Erscheinen des von Wulf Kirsten herausgegebenen Auswahlbandes Sehnsucht nach Feigenschnaps (Aufbau 1988) kein Unbekannter, im Unterschied zur ehemaligen – hier ist das Attribut angebracht – BRD. Hier stellte ihn der Lyriker Werner Söllner mit dem 1990 erschienenen Band Siebenbürgische Sprechübung (Suhrkamp) vor, einem gelungenen Überblick über Entwicklung und Eigenart Hodjaks, Landverlust ist Hodjaks erster Gedichtband nach der Übersiedlung.
Der Verlust der siebenbürgischen Heimat, das Ausbluten einer jahrhundertealten Kultur findet in ihm einen elegischen Chronisten. Die Landschaft der Herkunft wird zum „Stilleben“, zur menschenleeren Szenerie:
häuser, in denen
niemand mehr wohnt.
erkaltet die tonpfeife,
der mond.
Der Lakonismus der Verse ist nicht zu übertreffen, die Endreime nehmen die Fest-Stellung eines unwiderruflichen Sachverhalts vor. Das Gedicht „Rosenauer burg. Siebenbürgen“ besichtigt „die hinterlassenschaft einer goldnen / zukunft: zermalmt und verschluckt und / verdaut von dem allgegenwärtigen / vergessen das / zuweilen uns zeichen sendet wie zufriednes / rülpsen“. Der Landverlust ist total:
ich lebe unterdessen,
ein wandernder chronist,
der nie ein land besessen
und keins je vermißt.
(„am Wörther see“).
Total der Orientierungsverlust:
die kompaßnadel dreht sich wie verrückt im kreis.
Es bleibt nur die paradoxe Hoffnung:
und was es nicht
gibt, gibt dir die verlorne
sprache zurück.
(„ankunft“)
Das „vagantenlied“, das die Figur des Johann Ohneland-„ohne haus“ erinnert, bringt zugleich „Hansjean“-Hans Arp ins Spiel. Nicht zuletzt mit dessen Beistand verwandelt sich Schwermut in poetische Leichtfüßigkeit. Sarkasmus und Ironie geben Hodjaks Versen eine verführerische Einfachheit; das Gedicht ist – Gegengewicht zur Melancholie – nicht von der Freude des Spiels verlassen.
Daß Landverlust mehr meint als Reminiszenz an das Vergangene, den Gang ins neue Land einschließt, ja den Gang der Welt, verrät das Titelgedicht:
das gestohlne leben, Gott, du versuchst
es nachzuholen. das land jedoch
geht dir aus dem weg. in welche richtung
wirst du dich verirren? bleib
auch du an der wegkreuzung stehn
und verzweifle.
Eindeutige Entscheidungen wie im Märchen mit seinem Motiv der Wegkreuzung, die, je nachdem, welchen Weg man einschlägt, Glück und Reichtum oder Ungemach und Tod kündet, gibt es nicht. Ein Ort nirgends, das Gedicht wird zum „Kaspar Hauser lied“. In „böse stunde“ heißt es:
dies (gedicht
geht weder in die innere emigration, noch wandert
es aus, noch schlägt es eine andre richtung ein.
(…) dies gedicht kommt aus der vergangenheit, es geht
in die vergangenheit, und weshalb sollte es
zwischendurch sich selbst nicht in frage stellen?
Es sind die „risse im tag“, der „sanfte zerfall der zusammenhänge“, die im sanften Dadaismus Hodjaks ihr Entsprechen finden; ein Gewinn an poetischem Terrain, wie er freilich nicht erst seit dem unmittelbaren „Landverlust“ zu verzeichnen ist. In seinem Nachwort zur Siebenbürgischen Sprechübung bemerkt Söllner:
Hodjaks neuere Gedichte tänzeln förmlich um dieses Nichts herum: Welt-Satiren, Rituale des Grotesken, Zelebrationen des Absurden, Gesten einer traurig-komischen Sinnlosigkeit in einer Welt, die an lauter Sinn-Simulationen zugrunde zu gehen droht.
Die absurd existierende Realität wird nicht auf den planen Boden der Begriffe gebracht, sondern auf den abschüssigen Hang paradoxer Bilder und Sinn-Versprecher. „der zusammenhang wird immer etliche donnerstagsstraßen weiter hergestellt“, so die Wahrheit des „gedichts mit waage“. Die Welt des Gedichts ist alles, was der Fall ist – der Einfall. Ein Meisterstück solcher Arpiaden ist das „sekundengedicht“, es nimmt sich die Zeit und sagt endlich, was sie unendlich ist. Spätestens mit der dreizehnten Sekunde wissen wir, was wir schon in der dritten ahnten:
die dritte sekunde eine art feuerwehrschlauch der
die eingänge und ausgänge freizuhalten hat spülte
die erste und die zweite sekunde unter den
teppich wo beide eine neue sekunde zeugten
So ist es, die Zeit ist nichts anderes als ein „ewiger feuerwehrschlauch“.
Jürgen Engler, neue deutsche literatur, Heft 494, März/April 1994
Hans-Jürgen Schmitt: „Vater – das ist alles“
Frankfurter Rundschau, 18. 9. 1993
Alexander von Bormann: Die Särge waren tot, wir lebten drin
Neue Zürcher Zeitung, 18. 2. 1994
Harald Hartung: Im Lebkuchenlager zu Nürnberg
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. 3. 1994
Georg Aescht: „Ich lebe unterdessen“
Kulturpolitische Korrespondenz, Heft 900, 1994
Alexandru Bulucz: Erleidenslyrik
„Der Raum hat mich geprägt“: Interview mit Franz Hodjak in Usingen
Eine Lesung von Franz Hodjak aus unveröffentlichten Texten und ein Gespräch mit den Autoren Werner Söllner und Peter Motzan am 27.5.1992 im LCB.
Enikő Dácz spricht mit Franz Hodjak über Die Erfahrung der Bewegung
Peter Motzan: „Ich wohne in einem Türrahmen“
Ostragehege, Heft 35, 2004
Tom Schulz: Sehnsucht nach Feigenschnaps
Neue Zürcher Zeitung, 26.9.2014
Georg Aescht: Mühlen antreiben, doch welche? Franz Hodjak (70) weiß Letzteres nicht und tut Ersteres erst recht
Siebenbürgische Zeitung, 19.10.2014
Alexandru Bulucz: Meister der Erleidenslyrik
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.9.2024
Franz Hodjaks Laudatio zum Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis 2013 in der St.-Pauls-Kirche Dinkelsbühl.
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