WINTERGEDICHT
ich bekenne mich zur farbe
des schnees sagte der baum und
legte die blätter ab
die botschaften der krähen sind
am wahrsten sagte der baum und
schmückte sich mit ihren federn
ich behaupte der stürme zorn wirkt
nicht blind sagte der baum und
ließ ihre äxte gewähren
der vereiste boden nährt meine
begeisterung sagte der baum und
stand beispielhaft in der landschaft
der winter bleibt die beste schule
der widerstandsfähigkeit sagte der baum und
gab auch den letzten widerstand auf
bevor noch die holzfäller kamen
war er ein entwurzelter
soll nicht anmutig sein, sondern mutig, nicht bewegen, sondern in Bewegung setzen, nicht verklären, sondern aufklären, soll so sein, daß sie nicht verbraucht werden kann, sondern verbraucht, Literatur also, die nicht erbaut, sondern zum Mitbauen überzeugt.
Literatur muß die Phase eines gesellschaftlichen Prozesses als dialektische Entwicklungsstufe betrachten, über die hinausdenken und ihren Status an den Möglichkeiten ihres Status messen, realistisch und zugleich ein wenig utopisch, optimistisch und zugleich ein wenig zurückhaltend, nüchtern und zugleich ein wenig verträumt, ernst und zugleich ein wenig verspielt, vertrauensvoll und zugleich ein wenig zweifelnd, geduldig und zugleich ein wenig ungehalten, mutig und zugleich ein wenig mißmutig, sie muß den Möglichkeiten des an die Produktionsmittel gebundenen technischen Fortschritts um die Möglichkeiten der freien Phantasie voraus sein.
Literatur hat neue Wahrheiten aufzudecken und nicht zuzudecken, sie muß dem Menschen immer wieder helfen, sich selbst zu finden und zurechtzufinden, hier, am Ausgang unseres Jahrhunderts, zwischen Hammer- und Herzschlägen, Tonbändern und Fließbändern, Baggern und Bomben, Beton und Belegschaft, Hebeln und Hoffnungen, Motoren und Möglichkeiten.
Literatur also als Reagenzglas, das seine Substanzen aus der gesellschaftlichen Realität bezieht und diese zu neuen Verbindungen zusammenführt, in der steten Erwartung, daß sich daraus der neue, lebenswichtige Stoff bilde, in den so große Hoffnung gesetzt wird und der Zukunft heißt.
Franz Hodjak, Kriterion Verlag, Klappentext, 1976
Rolf Maurer: In dieser Runde kann jeder mitsprechen… Leseanleitung für Franz Hodjaks „offene briefe“
Die Woche, 20. 8. 1976
Rolf Bossert: „ich will nicht mehr sagen als stein“
Karpatenrundschau, 30. 8. 1976
Peter Motzan: „nicht irr werden“
Neuer Weg, 11. 9. 1976
Alexandru Bulucz: Erleidenslyrik
„Der Raum hat mich geprägt“: Interview mit Franz Hodjak in Usingen
Eine Lesung von Franz Hodjak aus unveröffentlichten Texten und ein Gespräch mit den Autoren Werner Söllner und Peter Motzan am 27.5.1992 im LCB.
Enikő Dácz spricht mit Franz Hodjak über Die Erfahrung der Bewegung
Peter Motzan: „Ich wohne in einem Türrahmen“
Ostragehege, Heft 35, 2004
Tom Schulz: Sehnsucht nach Feigenschnaps
Neue Zürcher Zeitung, 26.9.2014
Georg Aescht: Mühlen antreiben, doch welche? Franz Hodjak (70) weiß Letzteres nicht und tut Ersteres erst recht
Siebenbürgische Zeitung, 19.10.2014
Alexandru Bulucz: Meister der Erleidenslyrik
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.9.2024
Franz Hodjaks Laudatio zum Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis 2013 in der St.-Pauls-Kirche Dinkelsbühl.
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