Fritz J. Raddatz: Zu Günter Kunerts Gedicht „Verlangen nach Bomarzo“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Günter Kunerts Gedicht „Verlangen nach Bomarzo“ aus Günter Kunert: Verlangen nach Bomarzo. –

 

 

 

 

GÜNTER KUNERT

Verlangen nach Bomarzo

Selber ein Fels sein.
Stillstehen mit der gewesenen Zeit:
wo ein teils steiler Hügel
eine teils erhabene Klippe ortsgekrönt
des Morgens inmitten der Ebene
über sie
einen langen und leichten Schatten legt.

Platz nehmen im Parco di Mostri
unter schweigenden Ungeheuern
aus behauenem Gestein.
Einer der ihren werden
halb in der feuchten Erde geborgen
reglos und nichts anderes um sich
als lauter leeres Geheimnis
sonnenüberflutet und dunkel
wie der Sinn der Gestalten und Tiere
Elefant und Gladiator
Nymphe und Drache
Jahrhunderte alt.

Der Schädel mit dem Scheunentormund
darinnen Tisch und Sessel aus gleichem Granit
dich empfingen wäre der meine:
Hüt dich vorm Eintritt
damit du nicht in die unterirdischen Tiefen
meines ferneren Leibes gelangst
ausgestreckt unter Bomarzo:
der unsichtbare Grund
auf dem alles steht und der alles trägt.

Dableiben. Hierbleiben.
Kristallinisch
solcher Landschaft sich innig verbinden:
wenigstens vorübergehend
unsterblich sein.

 

Über „Verlangen nach Bomarzo“ 

Ein Gedicht des Stillstands, des Einhaltens; in Wahrheit ein Gedicht vom Tod: Günter Kunerts „Verlangen nach Bomarzo“ nimmt verbal die Motivfelder auf, die jene „Monströse Horde von Bomarzo“ – wie Pieyre de Mandiargues sie nannte – in Wunder und Schauder dem Auge vorführt. Im südwestlichen Teil Etruriens, unweit des Ortes Viterbo in der gleichnamigen Provinz, einst Polimartium genannt, lauern jene Monstren, die nur der beharrliche Sucher findet, im Park der Orsinis versteckt, eingewachsen, Teil der Erde und des Mooses und dennoch Kunstwerk von Menschenhand: Flußgötter, Elefanten, Fabeldrachen und struppig-köpfige Sphinxen.

Und wenn man dann unter dem schiefen Haus hindurchgeht, kommt man in ein Gebiet, wo das überall aus dem Gestein sickernde Wasser der Vegatation zu wahrhaft überschäumendem Leben verhilft. Dort wird man von Grotten empfangen, in deren Wände oft laszive Gestalten gehauen sind. Eine überlebensgroße Nymphe ließ, als noch die Wasserleitungen funktionierten, aus dem klaffenden Loch zwischen ihren Schenkeln einen stutenhaften Strahl. Andere würden es ihr nachtun, wenn sie nicht zur Hälfte oder zu drei Vierteln zerstückelt wären. Efeu fällt bis fast auf den Boden hinab; nur durch seine feuchten Girlanden hindurch gelangt man zu diesen Ungeheuerlichkeiten. Umschreitet man ein Gebüsch, so entdeckt man in einer Mulde, wo eine Quelle versumpft, zwischen Wasserrosen ein beachtliches Denkmal, nämlich die große Schildkröte; so groß ist sie – ich schwöre es –, daß ein gewöhnlicher Mensch wie Sie und ich ziemlich mühelos zwischen die Kinnladen des monströsen Reptils paßt. (Mandiargues).

Wer je durch diese diabolisch gemachte Natur sich hindurchkämpfte, ist gepackt worden von einem sinnlichen Schock, einem überwältigenden erotischen Appell; so dieser Begriff beides umfaßt: Eros und Thanatos. Das Faszinosum des Mythos fällt den Besucher an, hebt ihn wie mit der Faust einer der Riesinnen und zertrümmert ihn zugleich. Kunert muß diesen Traum der Vernichtung gespürt haben, sein Gedicht artikuliert ihn:

Selber ein Fels sein.

Bereits diese Zeile evoziert bewußt Benns berühmte Verse aus den Statischen (!) Gedichten:

Ein Alpenblatt oder ein Dünenhügel…

Bereits das nächste Wort von Kunerts Gedicht, „stillstehen“, ist eines aus der Nähe zu Benn und die letzten Zeilen ebenso, bis in die naturwissenschaftliche Wortwahl hinein: 

Kristallinisch
Solcher Landschaft sich innig verbinden:
wenigstens vorübergehend unsterblich sein.

Kunerts Wortmaterial hat eine schwebende Lakonie des Verharrens – und entspricht damit auf sonderbare Weise jenem „Peperin“ genannten Gesteinsmaterial, aus dem die unbekannten Handwerker? Bildhauer? Steinmetze? vor Jahrhunderten ihre Dämonen und Fabeltiere formten: Es ist hart gewordene, spröde-körnige, vulkanische Asche, in der die Sonne Glimmer zum Glitzern bringt; die Farbe ist ein düsteres Grau, das stellenweise in ein violettes Rosa hinüberspielt.
Der schlupfsüchtige Stillstand des Kunertschen Gedichts züchtigt jeden Gedanken an Geschichte, Fortschritt gar; Hingabe und Verfall – also Eros und Tod – sind die Koordinaten dieser steinschweren Notate, im Rätsel geborgen. Und dieses übermächtige Verlangen, den heiklen Widerspruch zwischen Kunst und Leben nicht aufzuheben, aber zu bergen, prägt das Gedicht. Womit es – nicht zufällig – ganz nahe Baudelaires „Riesin“ ist: 

Gern hätte ich vor Zeiten, als die Natur in mächtigen Entwürfen mit jedem neuen Tage ungeheuere Kinder schuf, mein Leben hingebracht bei einer jungen Riesin, wie zu Füßen einer Königin wollüstig eine Katze.
Gern hätte ich gesehen, wie ihr Leib erblühte mit ihrer Seele und frei erwuchs in seinen schrecklichen Spielen; erraten gern, ob finstre Glut in ihrem Herzen schwelt, aus feuchten Nebeln, die in ihren Augen schwimmen.
Durchwandert gern in Muße ihre machtvollen Gestaltungen; mich hinabgelassen über die Böschung ihrer gewaltigen Kniee, und bisweilen im Sommer, wenn unter ungesunder Sonne Sie müde sich auf die Flur hin lagerte, wie gerne lässig geschlafen im Schatten ihrer Brüste, gleich stillem Weiler unten am Gebirg!

Mythos als Rätsel, Leben als Lockung, es zu lösen und als Wissen, wie vergeblich das ist, auf dem Wege zum „Dableiben. Hierbleiben“: Kunerts Gedicht ist nicht bitter, aber alt; nicht melancholisch, aber weise: es benennt den 

unsichtbaren Grund
auf dem alles steht
und der alles trägt

Fritz J. Raddatz, aus Michael Krüger (Hrsg.): Kunert lesen, Carl Hanser Verlag, 1979

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