– Zu Georg Trakls Gedicht „Die schöne Stadt“ aus Georg Trakl: Das dichterische Werk. –
GEORG TRAKL
Die schöne Stadt
Alte Plätze sonnig schweigen.
Tief in Blau und Gold versponnen
Traumhaft hasten sanfte Nonnen
Unter schwüler Buchen Schweigen.
Aus den braun erhellten Kirchen
Schaun des Todes reine Bilder,
Großer Fürsten schöne Schilder.
Kronen schimmern in den Kirchen.
Rösser tauchen aus dem Brunnen.
Blütenkrallen drohn aus Bäumen.
Knaben spielen wirr von Träumen
Abends leise dort am Brunnen.
Mädchen stehen an den Toren,
Schauen scheu ins farbige Leben.
Ihre feuchten Lippen beben
und sie warten an den Toren.
Zitternd flattern Glockenklänge,
Marschtakt hallt und Wacherufen.
Fremde lauschen auf den Stufen.
Hoch im Blau sind Orgelklänge.
Helle Instrumente singen.
Durch der Gärten Blätterrahmen
Schwirrt das Lachen schöner Damen.
Leise junge Mütter singen.
Heimlich haucht an blumigen Fenstern
Duft von Weihrauch, Teer und Flieder.
Silbern flimmern müde Lieder
Durch die Blumen an den Fenstern.
Gold und Blau strahlen in diesem Gedicht den Glanz des Sommerhimmels und der barocken Altäre aus, sie haben nichts an sich vom Schimmer der Fäulnis und Verwesung, der die großen Untergangsgesänge und Todeshymnen kennzeichnet. „Die schöne Stadt“ ist durchglüht vom Licht echter und künstlicher Abendsonnen. Verglichen mit Trakls Herbst- und Wintergedichten, wirkt hier alles leuchtend und hell. Farben und Töne vermischen und steigern sich gegenseitig.
Der Tod kommt nur ein einziges Mal in Verbindung mit „braun erhellten Kirchen“ und „reinen Bildern“ vor. Das Leben überwuchert die Visionen von Sterben und Untergang. Kronen, Rösser, Brunnen, Blütenkrallen, Glockenklänge, Marschtakt, Weihrauch, Teer und Flieder zeugen von der Fülle der Natur und der Menschenwerke. Zweimal finden wir einen Hinweis darauf, daß sich Elemente des Traums in das „farbige Leben“ der sommerlichen Stadt mischen, die es wieder verblassen lassen und aufzulösen drohen: „Traumhaft hasten sanfte Nonnen“ und „Knaben spielen wirr von Träumen“.
Die Melancholie, die gleichwohl von diesem Gedicht ausgeht, stammt von seiner Form. Sie ist streng – sieben Strophen zu je vier Verszeilen, die sich reimen, mit Ausnahme der ersten und vierten Zeile jeder Strophe, in denen das Schlußwort wiederholt wird. Diese Wiederholung erzeugt eine Vorstellung von Vergeblichkeit, von einem Kreisen im Leeren, von ewiger Wiederkehr. Lebensfülle und Farbenreichtum der „Schönen Stadt“ werden in Versgefäßen aufgefangen, die immer die gleiche Form haben – wie Brunnenschalen, in die schäumendes Wasser fließt und zur Ruhe gebracht wird.
Die Melodie des Gedichts könnte immer so weitergehen. Eine Strophe weckt die nächste zum Leben, ein Vers lockt den anderen hervor. Dies ist ein Lied, das vertont werden könnte. Trotz der sich ablösenden Bilder und der wechselnden Figuren hat die Sprachmelodie etwas Eintöniges und Schwermütiges. Der Trakl-Ton wird durch gewisse Unregelmäßigkeiten im Versmaß noch deutlicher: Er strebt zu einer größeren und offeneren Form, zu freien Rhythmen, zu Langzeilen-Lyrik.
Max Rychner hat festgestellt, in Trakls Gedichten komme das Wort „ich“ so gut wie nie vor; die Individualität des Dichters löse sich auf in der Allbeseelung der Natur oder im Grauen von Tod, Fäulnis und Untergang. Trakls Gedichte sind welthaltiger als sein kurzes Leben, das sich engräumig und zurückgezogen in Österreich abspielte. Seine Lyrik spiegelt die Visionen des Rauschs wider, den er sich durch Drogen verschaffte. Schon 1914, siebenundzwanzigjährig, setzte er, durch die Schrecken des Ersten Weltkriegs in seinen Untergangsprophetien bestätigt, seinem Leben durch eine Überdosis Kokain ein Ende.
Ein Unvollendeter, ein Frühvollendeter? Er hat, um mit Rilke zu reden, „seinen eigenen Tod“ gefunden, er hat sich die Freiheit genommen, den Augenblick, der ihn aus seiner Verzweiflung erlösen sollte, selbst zu bestimmen. Vielleicht hat er in seinen Gedichten und den wenigen Briefen und Prosastücken, die erhalten geblieben sind, alles für ihn Wesentliche gesagt. Seine Leitmotive: Rausch, Blut und Blumen, Traum, Schlaf, Herbst, Untergang und Auferstehung, religiöse Ekstase und Höllenstürze, die Geliebte in der Gestalt der Schwester. „Die schöne Stadt“ wirkt keusch und knospenhaft gegenüber der überreifen Fülle späterer Gedichte. Dieses Gedicht ist ein Ruhepunkt in der Erscheinung wilder Flucht, ein schlichtes Lied. Mit der Stadt ist Salzburg gemeint; sie hat den Dichter nicht geängstigt wie modernere Großstädte, sondern besänftigt und friedlich gestimmt.
Geno Hartlaub, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982
Schreibe einen Kommentar