ABER DIE WELT
Wär ich Kassandra, sagt’ ich: laßt alle Hoffnungen
aaaaafahren!
Aber wir sind nicht hoffnungslos. Das Leid nimmt uns
aaaaaernst.
Das versinkende Schiff und das zerschellende
aaaaaFlugzeug
geben den Unglücklichen einen Begriff von sich.
Erlöschend begreifen wir uns. Wer sein Haupt legt auf
aaaaaden Block
für uns, ist unsere Wirklichkeit, der wir versuchen
auszuweichen. Aber die Welt braucht uns.
Wie soll ein Blütenbaum schön sein ohne uns.
– Georg Maurers Werk heute gelesen. –
1
An einem Märztag, Mitte der sechziger Jahre, muß es gewesen sein, als wir, damals junge Assistenten, Georg Maurer und Erich Arendt in der Menckestraße begegneten. Wir wußten zwar um die langjährige Freundschaft der beiden Dichter, hatten aber zu jener Geburtstagfeier zum ersten Mal Gelegenheit, sie im gemeinsamen Gespräch zu erleben. In Rede standen, so ist es erinnerlich geblieben, substantielle Fragen der Kunst und der Philosophie. An einem solchen Disput waren beide Männer interessiert, zu ihm von ihren Lebens- und Bildungserfahrungen her gedrängt: Georg Maurer hatte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Leipzig studiert, Erich Arendt hatte als Volksschullehrer, als Zeichenlehrer gearbeitet, früh Kontakt mit Herwarth Waldens Zeitschrift Der Sturm bekommen… Immer wieder hatten sie, das gehörte damals zur „Lektion“ von uns Jungen, in Essays und Notaten gattungs- und kulturgeschichtliche Probleme erörtert. Im Gespräch aber fanden sie selten Übereinstimmung darüber, was Kunst vermochte und sollte: verteidigte der eine offensichtlich das klassische (harmonische) Kunstkonzept, so schien der andere der Kunst der Moderne gegenüber aufgeschlossener zu sein; philosophische Aspekte führten sie zu unterschiedlichen Einsichten, für die Problematik Materie und Energie fand man keinen Konsens. Verfocht der eine materialistisch-marxistische Aspekte, so argumentierte der andere von Auffassungen Jean Gebsers aus. Da aber jeder vom anderen um die Ernsthaftigkeit des Arbeitens wußte, verlief der Disput äußerst tolerant. Und selbstverständlich wurden wir jungen Leute in das Gespräch einbezogen, waren doch beide neugierig zu erfahren, was wir über ihre Fragen und Antworten dächten… Was eigentlich ließ jene zwei sich freundschaftlich begegnenden Poeten aus einer Generation in den kontroversen Disput geraten? Erst Jahre später stießen wir auf ein Dokument, daß Gemeinsamkeiten wie Unterschiede ihrer Ansichten anschaulich erhellt und begründet. Den Vorabdruck der „Gedanken der Liebe“ Georg Maurers in der NDL (Heft 8/1961) las Erich Arendt mit dem Stift, und er schickte dem Freund das Heft mit seinen Bemerkungen und Änderungsvorschlägen zu. Sein Einwand zielte auf das Reflexiv-Rhetorische in manchen Passagen der vorgestellten Dichtung, darauf, daß das „Gedankliche“ nicht „ganz Bild“ geworden sei, das „Allgemeine nicht durch das Besondere“ erscheine, durch die Verknüpfung der „an sich schönen Bilder“ der Eindruck eines Allgemeinen entstehen müsse, manches „zu direkt“ gesagt sei. Kritisch unterstrichen wurden, unter solchen Blickwinkeln, Verse wie „wir aber nennen Liebe lebendigen Frieden, / der erfinderisch macht und die Kräfte so führt, / daß sie einrichten das Zimmer mit freundlichen Vorhängen / und die Blumen stellen in die Schale mit frischem Wasser“ oder jene „Nur in der Liebe erfahren wir das Weltall, / und nur die Liebe erzeugt den Verstand“ oder diese (von Arendt mit „zu viel“ und „zu direkt“ vermerkt):
Doch im Keim wohnt nicht der Sturm wie in den Zweigen,
Anfang und Ende sind nicht der Ablauf des Spiels.
Und das Werden weckt unsre Sinne
wie die Sonne die Gestalten und Farben,
daß sie sich lösen und schlingen
wie unsre Glieder und die Bächen schwellen
wie unser Blut – und die Erde in die Strahlen sich sehnt
wie unser Leib
unter die lockenden,
unter die pflückenden Lippen.
Mit „sehr gut“, „sehr schön“, „sehr gelungen: da einmalig“ bedachte Arendts Kommentar Verse wie „Und die Milchstraße ist meinem Auge so befreundet / wie der Weg am vereisten Bach zu dir“ oder „Die Luft ist erfüllt von den Bilder der Liebenden. / Weltstädte sind gehüllt in den Duft einer einzigen Frau“ oder wie jenen ganze Textpartie (von Arendt mehrfach lobend hervorgehoben):
Wenn ich in der Stadtbahn neben dir sitze, wir mit lachenden Knien uns verständigen,
ich den schmutzigen Aschenmast betrachte,
der mir aus der Zigarre wächst, bis er zerstäubt…
so zeichne ich dich doch immer in die Lüfte,
als flöge Venus in schwarzen Strumpfhosen
über den Kuben der Häuser, die Elfenbeinbrüste frei,
blendendes Weiß und blendendes Schwarz –
Hinter den gläsernen Wänden auf durchschimmernden Treppen
steigst du, bis der Gruß deiner Schritte
verklingt… Doch immer zeichne ich dich in die Lüfte
noch über dem Stoß meiner ungelesenen Bücher.
Es bliebe vordergründig anzunehmen, die Kritik Erich Arendts beziehe sich nur auf die Passagen, in denen der Gedanke dominiert. In seinem Urteil verbirgt sich mehr – eine andere Art der Weltbetrachtung. Zwei bislang noch nicht beachtete Randnotizen Arendts bestätigen dies. Zu den Versen „(…) Und ich zieh die alten Figuren / der Sterne nach. Denn einzeln betrachten mag ich nur den oder jenen, / am liebsten aber sie verbinden. Und das ist die Liebe.“ äußert der Freund, indem er das Wort „das“ („Und das ist die Liebe“) unterstreicht: „so leicht?“. Und in einer anderen Versgruppe möchte Arendt einen Begriff ausgewechselt sehen. Im Text war zu lesen:
Diese vertrauliche Wissen der Menschheit von der Bewegung,
diese Bewegung um die Vertraulichkeit der Welt,
diese Begegnung unserer innigsten Wünsche!
Arendt unterstrich die Vokabel Vertraulichkeit und notierte auf den Rand mit Fragezeichen das Wort „Angst“. Maurers „Vertraulichkeit der Welt“ und Arendts „Angst der Welt“ – hier polarisieren sich tiefergreifende, grundverschiedene Welt-Wertungen. Und es bleibt zu fragen, ob nicht auch die Bedenklichkeiten Erich Arendts gegenüber der Gedankenlastigkeit jener anderen in dieser Richtung verstanden werden sollten, daß für Arendt der Gedanke zu wenig durch die Erfahrung überprüft ist, womöglich sogar die Erfahrung dem Gedanken widersprechen würde?
Georg Maurer hat diese prinzipiell unterschiedliche Sicht in dieser Frage wohl geahnt Er übertrug in ein anderes Heft 8/1961 der NDL alle Änderungsvorschläge des Freundes – und berücksichtigte sie nur teilweise, als er den Dichtungszyklus in der damaligen Werkausgabe des Mitteldeutschen Verlages publizierte.
Wir Jungen aber konnten uns nach dem Gespräch in der Menckestraße und auch Jahre danach eigentlich nicht einsichtig erklären, warum Erich Arendt, der sich früh der kommunistischen Bewegung angeschlossen hatte, im Spanienkrieg kämpfte, im schweren Exil geblieben war, voller Skepsis den Weltlauf in den fünfziger und sechziger Jahren betrachtete, während Georg Maurer, aus der sowjetischen Gefangenschaft, in die er als Soldat der faschistischen Armee geraten war zurückgekehrt, voller Vertrauen auf eine neue Ordnungsmöglichkeit der Welt, vorrangig in dem Land, in dem er seither lebte, setzte. Warum, so fragten wir uns, erlebten sie die Nachkriegsentwicklung, verarbeiteten sie die zeitgeschichtlichen Ereignisse so unterschiedlich?
2
Wer in den Dichtungen Georg Maurer nach 1945 nach unmittelbaren Indizien des zeitgenössischen Prozesses forscht, sieht sich enttäuscht – weder nationale noch internationale Geschehnisse erscheinen faktisch im Text. Eine Geschichte der DDR, des europäischen Kontinents im 20. Jahrhundert ist aus den Gedichten nicht zu rekonstruieren. Der Dichter setzt sich zu den ihn natürlich betreffenden historischen Vorgängen nicht (bzw. nur ganz selten) tagespolitisch in Beziehung, wohl aber sucht er in ihnen nach einem neuen „Konstruktionsprinzip der Menschheit“.
Erfahren hatte er spätestens nach seiner Übersiedlung von Siebenbürgen/Rumänien zum Studium nach Leipzig im Jahre 1926 die Zerrissenheit, Gespaltenheit von Menschen und Völkern. Er hatte die Diskrepanz zwischen den mitgebrachten idealen und den in deutschen Großstädten (Leipzig und Berlin) wahrzunehmenden ernüchternden gesellschaftlichen Tatbeständen früh registriert, im Rückblick klarsichtig beschrieben:
In diesem Prozeß wurden mir nicht nur Menschen, sondern auch die Gegenstände immer fremder, rätselhafter, undurchdringlicher, zusammenhangloser. So komisch es klingen mag: jahrelang entsetzte mich der Querbalken am Rahmen meiner Zimmertür, auf die mein Blick fiel, wenn ich erwachte. Als ich einmal ein Kaufhaus betrat, sah ich eine Damenhand Geld auf den Tisch zählen. Leicht taumelnd trat ich wieder hinaus. Ich sah die Dinge etwa so, wie sie der Surrealist Salvatore Dali oder bei uns Rudolf Schlichter oder Edgar Ende malen bzw. gemalt haben. Ich litt aufrichtig an dieser Art zu sehen: Ich hielt eine so erlebte Welt auch nicht für darstellenswert. Im Grunde sehnte ich mich nach Harmonie mit Menschen und Dingen.
Entfremdung (Nicht-Einheit) wurde von Georg Maurer nicht nur in den Beziehungen zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft, zwischen Individuum und Gattung erlebt. Des Dichters philosophischer Sinn registrierte das Auseinanderfallen der Realität in starre Gegensatzpaare – Ich und Gesellschaft, Mensch und Natur, Körper und Geist, Sinnlichkeit und Sinn, Innen und Außen, Gefühl und Verstand, Anschauung und Begriff, Sein und Bewußtsein, Augenblick und Ewigkeit, Vaterland und Welt, Erscheinung und Wesen… Erzwungen hatte Georg Maurer die gewünschte, aber nicht zu erlebende Einheit in seiner Gottesvorstellung dieser Jahre und in seiner Dichtung – in einem Gott, der mit den Wertvorstellungen des klassischen Menschen- und Weltentwurfs ausgestattet wurde, in einer Dichtung, die eine solche Ganzheit und Einheit repräsentierende Gottesexistenz manifestieren sollte. Im Geist, in der Vorstellung, im aus der Welt herausgehobenen Gott reflektierte sich jene erwünschte Ganzheit, Einheit, Harmonie, die in der Menschen-Wirklichkeit – trotz vielfacher Versprechung des Nationalsozialismus und kritisch-bedenklichem, aber zeitweiligem Glaubens Maurers an sie – nicht erfahrbar war.
Solche schon immer ersehnten, zunächst nur jenseits des Daseins zu denkenden Übereinstimmungen wurden für Georg Maurer in spezifischer Weise erlebbar, als er nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft, dem katastrophalen Zusammenbruch des Hitlerregimes, in den beginnenden sozialen und kulturellen Umgestaltungen im nationalen wie internationalen Rahmen Möglichkeiten praktischen Eingreifens, befreiten geistigen Austausches, Unternehmungen eines realen Humanismus entdecken zu können glaubte. Das Studium marxistischer Schriften bestärkte ihn, im Zeit-Kontext verständlich, seine ursprünglichen programmatischen Erwartungen nicht zu revidieren, sondern zu versuchen, sie „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen. Die marxistische Analyse holt für ihn gleichsam die ideale vom Himmel auf die Erde herunter, ohne die humane Perspektive aufzugeben, sie prognostizierte eine Gesellschaft, die sich um die „Sonne der Arbeit“ dreht, in der die Widersprüche dadurch aufhebbar sind, daß individuelle und gesellschaftliche Interessen in produktive Korrespondenzen geraten.
Solche Korrekturen, Wahrnehmungen, Verheißungen bringen in den folgenden Jahren Bewegung in die künstlerische Werkstatt Georg Maurers. In der Arbeit sieht der Lyriker die „große Selbstbegegnung des Menschen“, die Chance, zu seinen wesentlichen Kräften zu finden, zu produktivem Miteinander. Für jenes idealistische Verhältnis der Interessenübereinstimmung in den vielfältigsten Relationen, in denen der Mensch sich befindet, setzt Maurer Begriff und Metapher der „Liebe“ ein. Was die Beziehungen der Geschlechter im besonderen ausmacht – Liebe als Verständnis und Freude aneinander, Lust und Schöpferkraft, Bewegung und Verwandlung – bleibt auch in den Beziehungen zwischen Ich und Welt auf anderen Ebenen zu erreichen. So will diese von Liebe erfüllte Kommunikation gleichsam bedeuten, daß die Naturkräfte ins Menschliche anverwandelt, ihre gesetzmäßige Wirkungsweise erkennbar, „liebend“ respektiert und dann humanen Zwecken nutzbar gemacht werden. Sie orientiert darauf, daß die Menschen untereinander den ihnen gemäßen natürlichen Bezug herstellen, Zusammenhang und Bedingtheit der Lebensprozesse begreifen, sie „liebend“ akzeptieren und dadurch unter ihren konstruktiven Einfluß bringen. Solche „liebende“ Kommunikation erfüllt sich schließlich darin, daß sie dem Menschen über mögliche Anfechtungen und Irrtümer, Gefährdungen und Verfehlungen, über zufällige Unglücksfälle und unglückliche Zufälle hinweg die Annahme seiner allseitigen Existenz vermittelt.
Diese Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre entwickelte philosophisch-poetologische Konzeption entfaltet Georg Maurer in den folgenden Jahrzehnten, im grundsätzlichen unbeirrt von wechselnden kulturpolitischen Strategien und politischem Druck, ohne daß er dabei deren Problematik und Unangemessenheit für die künstlerische Produktion übersieht. Aus dem großen Fundus der Geschichte holt er Muster von in die Zukunft weisenden Konstellationen in den Vers, so im Zyklus „Geschichtsbilder“, im Zyklus „Gestalten der Liebe“. Im Welterleben der Gegenwart legte er im poetischen Bild immer neue Begegnungsvarianten frei, die menschliche Subjektivität durch jene erhoffte Kommunikation anreicherten.
Ein solcher von ihm verfolgter und verfochtener Anschauungs-Diskurs kann sicherlich heute als zu optimistische Interpretation menschlicher, gesellschaftlicher Ansätze und Möglichkeiten des Neuanfangs nach faschistischer Barbarei und Weltkrieg gewertet werden. Wiederum war auf Mensch und Welt weniger Verlaß als der Dichter dachte und erhoffte. Verkürzungen sind im Werk dort nicht zu übersehen, wo ein vielleicht noch nicht oder auch nie zu erreichendes Befinden als schon Vollzogenes erscheint, wo, insbesondere durch den zyklischen Zusammenhang der meisten seiner Dichtungen bedingt, beunruhigende Signale und widersprechende Beobachtung des Einzelgedichts im Zusammenklang aller Dichtungsteile aufgehoben werden.
Alle aus den aktuellen Prozessen sich herleitende Bedenklichkeit diesem Grundcharakter Maurerscher Poesie gegenüber wird dann aber doch nicht übersehen können, daß diese Dichtung sich an einer Notwendigkeit und an einer Bedürftigkeit orientierte, die weither aus den Nöten und Bedürfnissen der Menschheit in ihrer bisherigen Geschichte gesehen und gehört worden waren, an einen Anspruch menschlichen Lebens, der bestehen bleiben wird, will sie überhaupt überleben:
Die Funktion der Lyrik heute – im allgemeinen Sinn – ist, am Muster für einen Weltfrieden zu arbeiten, wozu das Aufstöbern aller tief im Menschen wurzelnden Hindernisse gehört…
Es kann nicht übersehen werden, daß Georg Maurer mit dem Vers den gesellschaftlichen Organismus ernsthaft und aufrichtig in den Problemhorizont dieser Hindernisse stellte. Er versuchte, die Alltagsvorgänge am Gattungsgeschehen der Menschheit zu messen, wurde daher nicht zum Apologeten kurzfristiger politischer Maßnahmen oder Gewißheiten. Und er ahnte in den letzten Lebensjahren zunehmend, eigene Krankheiten, nachhaltige Störungen in den gesellschaftlichen Verkehrsformen aufmerksam wahrnehmend, daß ganzheitlich begründete Kommunikation nicht hergestellt, schwerlich herstellbar war. Indem der Dichter hartnäckiger den problemvollen Widerspruch von Vergänglichkeit und Bewahrung, Lebensmoment und Dauer im Zeitprozeß bemerkt und vermerkt, wird auch die bisher dominierende eigene Haltung problematisiert. Die Feststellungen, die im Spätwerk gegeben werden, erwachsen energisch aus der Folge von Frage und Gegenfrage. Die Komposition der „Gespräche“ ist bezeichnend für diese veränderte Wahrnehmung und deren strukturelle Umsetzung. Dialektische Paarungen polarisieren sich jetzt aus Elementen früherer Zusammenschau – Geist und Leib, Mensch und Welt, Dichter und Dichtungen werden oft über Rede und Gegenrede auseinandergerissen, in ihren Spannungen ausgelotet, ohne freilich jegliche Tendenz ihrer widerspruchsvollen Einheit zu verwerfen. Aus der früheren Gewißheit des „Unserem“ wird das späte Wissen um den „Mangel“. Georg Maurers letzte Dichtungen rechnen mit dem Nicht-Aufzulösendem im geschichtlichen Sein des Menschen.
3
Für Georg Maurer war das Gedicht ein Gesprächspartner, ein, wie er selbst sagte, „lebendiges Wesen“. Ihm vertraute er an, was ihn bewegte, ihn betroffen machte; mit ihm stritt er darüber, was er für sich klären wollte. Fast fühlte man sich verlockt, „ihr“ vertraute er an, zu sagen, weil auch die Beziehung zwischen Dichter und Gedicht von ihm als eine jener Kommunikationen verstanden wurden, die er mit dem Epitheton „liebend“ versah. Und das Schreiben, die Produktion des Gedichtes war seine Art von Arbeit als dem Versuch einer „großen Selbstbegegnung des Menschen“. Weiß der Leser um diese Auffassung der künstlerischen Anstrengung, dann kann es ihn nicht mehr irritieren, wenn er erfährt:
Ein Gedicht muß gut gefügt sein wie ein solides Möbelstück, handhabbar wie ein praktisches Küchengerät. Nur daß das Gefüge des Gedichts auf seine Weise das Gefüge der Menschheit oder gar der Welt wiedergibt als inneres Widerspiel des Weltzusammenhangs, soweit wir ihn jemals erkennen oder fühlen.
Und es wird ihn nicht skeptisch werden lassen, wenn die Vokabel „Liebe“ an scheinbar unpassender Stelle erscheint:
Wir dürfen den Dingen nicht Unrecht tun, sie sind nicht so mager und abgehärmt, sie sind nicht so nüchtern (auch die Liebe nicht) wie sie uns von der einen Seite geschildert werden – und sie sind auch nicht so zurechtgemacht, gekämmt, mit Lippen- und Wangenrot versehen, wie das mancherorts mit Leichen gemacht wird, damit der Anblick für die Trauernden etwas angenehmer sei.
Solche Selbst-Behauptung der Kunst, ihre Verteidigung, hat Maurer wider unangemessener kulturpolitischer Direktive oder kunsttheoretische Inkompetenz gehalten. Er hat sich immer gewehrt, wenn Kunst in den „Dienst“ genommen werden sollte. Gegen eine Formalismus-Diskussion, die Form nicht in ihrer Funktion, sondern als eine von Inhalt und Gehalt abzulösende Größe verstand und angriff, schützte er durch seinen Kunstverstand Künstler, die als „Formalisten“ abgewertet werden sollten: Max Schwimmer, Karl Hofer, Ernst Barlach…
Um Kunst-Machen als ernsthafte Produktion und anspruchsvolles Handwerk zu verstehen und vermitteln zu können, hat er sich in allen Schaffensphasen intensiv in Techniken der Kunstproduktion von Vorgängern und Zeitgenossen eingearbeitet. Seine Essays „Die Natur in der Lyrik“ sind weitgreifende Erörterungen über die Eigenart lyrischer Subjektivität und die davon hervorgebrachte Gedicht-Gestalt als jeweilige Welt-Anschauung im unerschöpfbaren Variantenreichtum der National- und Weltliteratur. Deshalb muß der heutige Dichter, der sich der Anstrengung künstlerischen Sprechens verpflichtet fühlt, lernen:
Er muß wissen, was die Menschen – und nicht nur die Dichter – an den Dingen gesehen, gefühlt, geschmeckt, gerochen, aus ihnen herausgehört haben, was sie über die Wirklichkeit gedacht, was sie erkannt, was sie verändert haben. Und das ist ja nun gerade sein Beruf (wie jedermanns Beruf), seinerseits was dazuzutun. Und etwas tun für die Menschenwelt – und sie nicht verarmen und zerstören, heißt Arbeit. Und der Lyriker ist ein Arbeiter wie jeder anderer Arbeiter…
Georg Maurers Methode als Lehrer einer ganzen Lyriker-Generation – Sarah Kirschs, Heinz Czechowskis, Rainer Kirschs, Adel Karaholis, auch Volker Brauns, Karl Mickels, Bernd Jentzschs u.a. – zeichnete aus, daß sie – gleichberechtigt – den Text der Jungen ins Verhältnis zu denen der Vorgänger, um nicht zu sagen der Vorbilder setzte, so Maßstäbe nicht abstrakt dozierend, sondern praktisch – anschaulich vermittelnd. Heinz Czechowski hat diese merkwürdige, nicht selbstverständliche Form produktiver Unterweisung prägnant bezeichnet:
Ja, diese Methode war, direkt gesagt, natürlich keine Kathedermethode, es entstand eine lebendige Arbeitsatmosphäre: Maurer saß vor uns, links und rechts von sich zwei hohe Bücherstöße, in die viele Lesezeichen, Zettelchen hineingesteckt waren, die Brille schief, meistens nur ein Bügel auf einem Ohr haftend, der andere hing herunter, die Zigarre, die er sich nicht versagte, die rauchte im Unterricht, mit Pinzette… Wenn ich jemals Kleists Formulierung „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ begriffen habe, dann in diesem Seminar. Maurer nahm die Gedichte der Kursanten zum Anlaß, und seine Methode war eigentlich, wie in der Kunstgeschichte dominierend, eine vergleichende: Er zog heran, was er in der Lyrik der Welt gefunden hatte, und verglich, wie in ihr diese oder jene Wendung oder Metapher im Vergleich zu dem gerade besprochenen Gedicht realisiert war.
Die geistige Anstrengung, die solcher Arbeitsweise vorausging, kann nicht nur in der umfangreichen Aufarbeitung zahlreicher Materialien, sondern auch in der Furcht gesehen werden, den jungen Kollegen durch ein womöglich unbedachtes, vorschnelles Urteil zu verletzen. Ich erinnere mich, wie unglücklich Georg Maurer war, als er Volker Brauns Manuskripte zu dessen zweitem Gedichtband an dem schon publizierten ersten Band maß und den jungen Poeten deshalb danach befragt hatte, ob nicht Verluste zu konstatieren wären. Sofort einsichtig, drängte es ihn, die zu rasche Wertung zu korrigieren…
Maurer aber lehrte nicht nur die Produzenten, sondern auch die Leser. Zu einer Zeit, als in den Schulen noch weitgehend Gedichte als Träger rubrikhafter Inhalte bzw. Aussagen behandelt wurden, bestand er darauf, daß die allgemeine Funktion der Lyrik darin bestehe (und im Austausch mit dem Literaturwissenschaftler Dieter Schlenstedt faßte er dies präzis), „Vorlagen einer denkenden und fühlenden Subjektivität zu geben. Muster einer arbeitenden Subjektivität, die imstande sind, uns rationale und emotionale Beziehungen zwischen Ich und Welt vorzuspielen.“ Er bekundete dadurch, daß Gedichte, lyrische Mitteilungen nicht in erster Linie nach den in ihnen erfaßten „Gegenständen“, „Themen“ befragt werden dürfen, sondern nach dem Menschen, der im Text spricht, über sich spricht, über uns, über seine, über unsere Lebenssituation und -erfahrung, der sich an jemand – redend – wendet, an uns, der nachfragt, der anfragt… Takthaltige Reden und klärende Bilder erscheinen ihm nicht als „schöner Zierat“ des Verses, sondern als notwendiges Ausdrucks-Mittel der eingegangenen und ausgesprochenen Beziehung, des in Sprache erhellten Welt-Verständnisses.
Kunst-Machen, Kunst-Aufnehmen, Kunst-Verarbeiten waren für Georg Maurer lebensnotwendig – als Möglichkeiten, den immer eng begrenzten Erfahrungsraum des Menschen zu überschreiten, die Lebenszeit zu überspringen, pragmatische Beschränkung aufzubrechen, sich mit der ganzen Menschheitsgeschichte zusammenzuschließen. Auf eine „Kräftigung der menschlichen Möglichkeiten“ auch darauf wurde gesetzt.
4
Fast zur gleichen Zeit, als Erich Arendt Georg Maurers Vorabdruck „Gedanken der Liebe“ in der NDL mit Sympathie und kritischen Einspruch las, schrieb Maurer dem Freund einen Gruß zu dessen 60. Geburtstag. Aus der Würdigung des Werkes Erich Arendts erschließt sich zugleich die Andersartigkeit des Schaffens Georg Maurers. Der eher seßhafte Maurer macht auf die Weitläufigkeit Arendts aufmerksam:
Man muß schon den Weltatlas aufschlagen, um das Werk Erich Arendts, seine Gedichte, seine Übertragungen, seine Beschreibungen, die er in seinen Bildbänden voranstellt, zu begreifen.
Mit dem Blick auf das eigene kontinuierlich wachsende, sich fortschreibende Œuvre, bemerkt er im Arendtschen Schaffen besonders die Um- und Abbrüche:
Wie baut sich nun diese dichterische Welt Arendts in der Zeit seines sechzigjährigen Lebens auf: sehr ähnlich den von den Meeren umspielten geologischen Formationen, die den Völkern im harten Kampf mit den Naturgewalten und den Unterdrückern zur Heimat wurden.
Da Maurer, wie einer seiner ersten Interpreten, Hans Dahlke, schrieb, „die gegliederte Syntax, die attributiven und adverbialen Nebensätze“ bevorzugte, entdeckte er um so deutlicher die andere Stilistik Arendts:
Die Hochspannung kunstvoller Satzgefüge, die Klopstock und Hölderlin als besonders poetisches Mittel gegenüber einer diskursiven Denk- und Ausdrucksweise in die deutsche Lyrik einführten, übernimmt Arendt als ein völlig legitimes Erbe aus dem Reichtum klassischer Gestaltungsformen.
Wenn Maurer aber an Texten Arendts hervorhob: „Und immer die uranfängliche, alles erhellende Sonne Homers: das Feuer des Humanismus“, dann scheinen Übereinstimmungen in den poetischen Konzeptionen beider Dichter doch bewußt zu sein. Fügen sie aber letztlich auch die zugleich zu beachtenden konträren Formeln von der „Vertraulichkeit der Welt“ und der „Angst der Welt“, in denen sich einerseits Maurers, andererseits Arendts Welt-Wissen gefaßt sehen können, wirklich übereinander? Als sich die Wege beider Dichter in den fünfziger Jahren kreuzten, hatten sie ein halbes Jahrhundert gelebten Lebens zurückgelegt, die Erfahrungslasten zweier Weltkriege, des Einbruches des Faschismus zu tragen, waren sie Augenzeuge des Aufbruches von Völkern, eines gesellschaftlichen Neubeginns gewesen. Erich Arendt, der viele Wege und Irrwege der kommunistischen Bewegung mitgegangen war, auch um die Niederlagen proletarischen Aufbegehrens im eigenen Engagement wußte, blieb nach der Rückkehr aus dem Exil mit Zweifeln, ob überhaupt im Geschichtsprozeß die Freiheit des Menschen zu gewinnen war oder nicht doch nur jenseits konkreter historischer Verhältnisse. Georg Maurer, dessen Grunderfahrung die schmerzliche Trennung zwischen profaner Welt und vorgestellter Souveränität im Geiste zum künstlerischen Ausdruck geführt hatte, sah nach 1945 „endlich den Menschenraum als eine dynamische Einheit“ faßbarer werden und versagte sich daher nicht, eine solche Menschwerdung durch literarische Arbeit zu befördern.
Wir werden, scheint mir zur Zeit, die Dichtungen beider Schriftsteller brauchen, die Skepsis und die Erwartung, die Bedenklichkeit und die Hoffnung – im Zeichen humanen Widerstehens für Leben und Frieden auf der Erde.
Walfried Hartinger, Vorwort
Am Tische sitz ich im Konstruktionsbüro
aus Laubwerk – der Materie gegenüber.
In ihre Augen blick ich, wo die Zeit
als Anfang und als Ende sich zurücknimmt.
Durchs Zaunloch schleicht die Katze hin und her.
Die Schwalben segeln, und ich seh sie so,
als wenn sie eine ewige Zeichnung wiederholen.
Weiter hatte ich Georg Maurers Gedicht „Im Garten“ noch nicht, gelesen – schon war ich an den Garten am Schwielowsee erinnert. Wo immer auch diese Verse schließlich aufgeschrieben sein mögen, erschaffen sind sie in seiner Werkstatt unter den Apfelbäumen. – Ich bin erinnert an seine mir so lieb gewesene Gewohnheit, den Schreibtisch selten, wenn nicht gar ungern zu benutzen. Vielleicht weil er wußte – und er wußte das nur zu gut! –, daß die Geschichte des Tisches mit dem Opfer beginnt: nicht zum Abstellen erdacht, Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung, sondern zur Erhöhung dargebotener Gaben im Opferdienst (so der Lexikonvermerk); er opferte nicht, schon gar nicht seine Verse; sie waren von Anbeginn an sein Geschenk, und zwar nicht an die Götter, sondern an diese unsere Welt. Ich habe seine Freude an seinen eigenen Versen erlebt (er verbarg sie nicht, kaschierte sie nicht). Keine andere Freude, keine geringere als die eines Weinbauern, der am großen runden Tisch (so er in Petzow) mit seinen Freunden die Ernte des Jahres verkostet und sich bestätigt findet in seinem Genuß.
So! sagt der Himmel zu der Wiese.
Jetzt legen wir uns auf den Bauch.
Du schreibst noch ein paar Grüße,
und ich – ich unterzeichne auch.
Dann aber haben wir genug getan. –
Die Wiese schaut den Himmel an
Und sagt: Unendlich lieb ich dich,
und ohne dich – was wäre ich.
Der Himmel aber wirft sich weit
Über das weiche Wiesenkleid:
Was wäre all mein blaues Mühn,
Blieb’s ungestillt von deinem Grün.
Das ist er auch! Und um das eine wie das andere zu ernten – das Klassisch-Maßvolle wie die keck-heitere Zärtlichkeit –, brauchte er vor allem dreierlei (dort jedenfalls, wo wir einander sommers begegneten): einen stabilen Liegestuhl, das Zweiggewölbe alter Obstbäume über sich und das den anderen (Frauen und Kindern, Freunden und Tieren) nahe. Alleinsein. War er genug gewandert oder an der grünen Platte dem kleinen weißen Ball nachgesprungen, hatten sich reichlich Gedanken gesammelt, so lehnte er sich in den Liegestuhl (seine Kinder stellten ihn morgens schon bereit), um nun allen Bildern, Lauten und Farben geruhsam „nachzusehn“. Das Blätterdach war durchlässig genug, um Sonnenlicht wie Himmelsbläue gegenwärtig sein zu lassen, zugleich jedoch dicht genug, um von einem Übermaß an Helligkeit nicht geblendet zu werden. So blieb er im Bereich der Stimmen; er wollte sie hören, aber nicht zur Unzeit angesprochen sein. Wie er um die Spiele der Kinder wissen wollte, daß er sich augenblicks diesen einzufügen vermochte, ihre Verlockung ihn nicht strapazierte oder ablenkte. – Kaum jemand, der zu solcher Stunde nicht lieber einen Umweg (zum Steg hinab oder zum Wäscheplatz hin) gemacht hätte, als seine Nachdenklichkeit und träumerische Aufmerksamkeit zu stören.
Doch auch der schwebende Vers muß schließlich einmal in Schrift gefügt werden, soll er nicht verschweben. Dafür stand auch ihm im Heim der Schriftsteller ein Schreibtisch zur Verfügung; schmal im schmalen Zimmer Nummer 10, jahrelang. – Die Stunden sind zu zählen, die er an ihm verbracht hat; über dies soeben benannte Notwendige hinaus noch Pflichten absolvierend, denn auch ein guter Lyriker will wie ein Mensch leben und eine Familie aus eigener Kraft ernähren können.
Der Schreibtisch in Nummer 10 war vielen nützlich, so auch ihm, nichts sonst zeichnete ihn aus. Aber das Stück alten Obstgartens (ob da überhaupt noch Bäume stehn?) – das hat er ausgezeichnet. Ging ich in den Sommern, die ich dort sein konnte, hindurch, war es – für mich – sein Garten. Unwillkürlich suchte ich den Liegestuhl, der auf ihn wartete. – Gern allein zu sein hat ihn nicht zum Einzelgänger gemacht; der konnte er nicht werden, dazu lachte er zu gern. Ebensowenig war er ein Einsamkeitsapostel, wenn ihm auch seine Einsamkeiten zuzeiten notwendig (und uns heilig) waren. Seine Verse überzeugen davon, wie gern er liebte: das Leben, die Lebenden und seine Liebe zu ihnen, zur Welt. Und: das Gespräch, das liebte er sehr. Nicht die Aneinanderreihung von Monologen oder Lehrsätzen und Meinungen, brillant formuliert oder nicht, nein, wichtig war ihm: das Sprechen miteinander. Dazu gehörte für ihn Beieinandersitzen, Gläser auf dem Tisch, gehörte Reden, Rauchen und Zuhören. Auch Schweigen. In seiner Gegenwart war das Schweigen niemals Abwendung, Verschlossenheit; alles war Antwortgeben. Selbst wenn es nur der Versuch einer Antwort blieb, wenn so manches in dem Versuch zu antworten steckenblieb – all dies macht Gespräch aus und machte auch das unsere gut, das sehr spät miteinander geführte.
Obwohl jetzt nur ich von ihm gesprochen habe, empfinde ich doch, er ist aus dem, was Unsterblichkeit geheißen wird und mir im Knistern der Bücher, schlage ich sie, auf, hörbar wird, wiederbegegnet; aus der dunklen Kühle der Erhabenheit ist er wiedergekehrt in seine Verse; er hat mich an einige seiner Gewohnheiten erinnert, vor allem aber an seine Fröhlichkeit:
Was tu ich zwischen Fischen, Blumen und Vögeln?
Ich bin fröhlich! – Ungesagtes
will treiben ins Sagen…
Wie kamen die Fische, die Blumen, die Vögel
aus Ungesagtem, daß sie schwimmen, blühen und singen?
Es macht mich fröhlich, das Ungesagte…
Ein Mädchen liegt auf der Wiese,
lachend und weinend in einem. Man sagt, sie sei verliebt.
Und fragt man sie,
weiß sie keinen…
Wer hat das schon gesagt: Es macht mich fröhlich, das Ungesagte – wer außer ihm? Wer hätte das schon gewagt, um dennoch ein Dichter zu sein! Über den Tod hinaus.
Vor fünfzehn Jahren, am 4. August 1971, starb Georg Maurer.
Hanna-Heide Kraze, neue deutsche literatur, Heft 404, August 1986
GRÜN DER MINZE
Für Georg Maurer
1
Aus dem Land der Märchen war ich gekommen
Dem Land der tausendundeinen Sonne
Den goldenen Tanz der Schmetterlinge
Schützte am Herz mir das leinene Hemd
Die Jasminkette um meinen Hals gewunden
Von Märchen und Sonnen
Blickte in die Welt so
Wie ein Kind
Der Baum ist eine Fee
Die Wolke ist der Prinz
Der Regen ist die Hochzeit der Natur
2
Aus dem Land der Märchen
Dem Land des tausendundeinen Elends war ich
gekommen
In die großen Städte der Hochkonjunktur
Wo das Rad sich drehte hundert Jahre schneller
„Wo der Kalender sich selber abreißt vor Ohnmacht
und Hast“
Unter den Schatten der Gleichgültigkeit
Liegen verborgen die Spuren der Kriege
Wo alles verboten ist
Der Eingang der Durchgang der Ausgang
Wo der Baum nur Baum ist und der Regen
Nichts als Niederschlag
3
In diesen Schneewäldern erfroren mir die
Schmetterlinge
Die fröhlich-trunkenen
Der Eiswind
Streute den Zweifel ins Lied
Peitschte aus dem Pinsel die Farben
Riß vom Jasmin die Blätter
4
Er aber er
Warf die prophetischen Muscheln aufs Eis
Wies mir den Weg zum Grund der Quelle
Zum Schatz der anderen Schneewälder
Er gab mir das Wort das unsere
Zu bändigen die Wolke
Um feiern zu können die Hochzeit der Natur
Zu sammeln das Wasser am Staudamm
Nicht zu fürchten die Scheidelinie des Todes
Sondern die beweglose Maske des Lebendigen
Zu bauen Kaufhäuser im Weltall und Kindergärten
Denn nicht nur der Seiler in Rom und der Töpfer
Am Nil
Nicht nur der Turm zu Babel und die Pyramiden
Sondern auch die weiten Speicher der Kraft
Offenbaren uns die noch unerkannte Gestalt dennoch
Nicht mit leeren Händen kämen wir wenn wir
Den Mond beträten nicht ohne
Gesänge
Dies ist das Wort und dies gab mir er
Der Baum ist nicht nur eine Fee
Nicht nur Baum
Er verlieh meinem Pinsel wieder
Das Grün der Minze
Adel Karasholi
Hermann Kähler: „Aber unter den Menschen ist nichts gewaltiger als die Sehnsucht“
Sinn und Form, Heft 5, 1967
Carsten Wurm: Georg Maurer im Aufbau-Verlag
Sinn und Form, Heft 4, 1988
Carsten Wurm: Georg Maurer im Aufbau-Verlag
Sinn und Form, Heft 4, 1988
Franz Fühmann: Lob des Menschen
National-Zeitung“, 12.3.1957
Rainer Kirsch: Georg Maurer zum 60. Geburtstag
Martin Reso: Sein Thema: Der Mensch
Berliner Zeitung, 10.3.1967
Heinz Czechowski: Maurers Selbstbildnisse
Sinn und Form, Heft 4, Juli/August 1977
Uwe Berger: Er erhob den Alltag zur Poesie
Neues Deutschland, 12.3.1977
Horst Haase: … daß nichts verlorengeht
Sonntag“, Nr. 11, 1977
Rulo Melchert: Unverbesserlich in seinem Glauben an das Bessere
Junge Welt, 11.3.1978
Hanna-Heide Kraze: Der Dichter ohne Schreibtisch
Der Morgen, 15./16.4.1978
Hans Brauneis: Im poetischen Torbogen
Der Morgen, 4.8.1981
Das Buch des Lebens weiterführen
Sonntag, Nr. 31, 1981
Dietmar Felden: Die Perspektive sind wir selbst
National-Zeitung, 11.3.1982
Klaus Hennig: Wirkliche Welt
Berliner Zeitung, 11.3.1982
Sabine Karradt: Poesie auch im Alltag
Der Morgen, 2./3.8.1986
Ingrid Hähnel: Lob der Poesie
Wochenpost, Nr. 9/1987
Heinz Czechowski: „Was bleibt?“
Sinn und Form, Heft 2, März/April 1992
Franka Köpp: Arbeit – die große Selbstbegegnung
junge Welt, 11.3.2017
Michael Mäde: Wider den Nebel des Vergessens
junge Welt, 5.8.2021
Horst Buder: Seine Verse galten dem Leben
Neue Zeit, 8.8.1971
Heinz Czechowski: Georg Maurer
Sonntag, Nr. 33, 1971
Jürgen Engler: Welt und Mensch
ich schreibe, 1/1971
Karl Mickel: Georg Maurer / Karl Mickel und Sarah Kirsch
Weltbühne, 33/1971
Fritz J. Raddatz: Liebe und Arbeit oder Das große Weltanschauungsgedicht
Süddeutsche Zeitung, 19.8.1971
Erhard Scherner: Dichtung mit Zukunft
Berliner Zeitung, 6.8.1971
Max Walter Schulz: Dichter und Lehrer des Wirklichen
Neues Deutschland, 6.8.1971
Wieland Herzfelde: Worte des Gedenkens für Georg Maurer
Sinn und Form, Heft 1, 1972
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