NATÜRLICHER ROMAN
In 8 Kapiteln
Übersetzung von Alexander Sitzmann
„Und sie schwirren, bringen uns in eine Welt
jenseits von Gut und Böse, in ein anorganisches Leben.“
Er kommt daher wie seine Gedichte. Seine Gedichte kommen daher wie er. Verschmitzt und lebensklug. Fragend und aufnehmend. Die Beute des wirklichen Lebens davontragend wie der Igel den Apfel auf seinen Stacheln, sie dem Leser herzeigend so lakonisch, so direkt, dass es seine Art hat. Diese Gedichte wurzeln in feiner Aufmerksamkeit im Alltäglichen wie in skeptischer Neugier. Sie verdanken alles dem Durchdenken dessen, was der nahe Blick bereitstellt, sind vollkommen geerdet. Zugleich starten sie punktuell und pointiert mit gehörigem Respekt vor einer höheren Instanz durch, und zwar hoch hinauf. Angelehnt an die Gottesauffassung der Ostkirche, eingedenk der religiösen Tabus bis in die Spätzeit des Sozialismus. Auch da wieder so verschmitzt, dass es der höheren Instanz ein Vergnügen sein dürfte. Dieser poetische Planet mit lyrischer Großmutter, göttlicher Tomate und insgesamt unverkrampfter Hingabe an den natürlichen, menschlichen Gang der Dinge lädt vor allem ein zum genussvollen Denken.
Die Literaturwerkstatt Berlin hat Georgi Gospodinov und den Autor dieser Zeilen 2007 in einem Nachdichtungs-Workshop bulgarischer und deutscher Kolleginnen und Kollegen zusammengebracht. Wir diskutierten ausführlich, wie der kleine Mord an einer Schnecke auf Deutsch und auf Bulgarisch klinge und wie er wohl am besten wiederzugeben sie. Wir sprachen über die akustische Differenz als wesentlichen Unterschied von Sprachen. Womöglich behandelten wir damit eine Frage, die Erkenntnisse über die Mentalität ermöglicht oder gar auf den Nationalcharakter schließen lässt. Dass Übersetzen von Gedichten unmöglich ist und doch unternommen wird, dieser großen Binsenweisheit vergewisserten wir uns allemal. Dass Kultur-Unterschiede deutlich werden können beim verstehenden Lesen und Nachbauen eines Gedichts. Was wüssten wir im deutschen Sprachraum vom Balkan ohne solcherlei permanente Bemühung? Trotz der kakanischen Schaltstellen in Wien oder Graz. Grüne Triebe bewegen von alters und unten her die Trümmer des Turms von Babel.
Gospodinovs DAAD-Stipendium 2008 in Berlin versprach und ermöglichte neue Fragestellungen. Was es mit den achtziger Jahren auf sich hatte, und also mit dem prägenden Leben im Sozialismus, behandelten wir während eines Interviews, zu dem der Publizist Gospodinov mich einbestellte. Kaffee und Kuchen mit Frau und Töchterchen inklusive. Heiterstes Abhandeln der Parallelen zwischen dem geistigen Zustand Ostberlins und dem Sofias damals, jenseits von Nostalgie. Dabei gehören wir doch, um es altmodisch zu sagen, verschiedenen Generationen an. Der junge Mann aus Bulgarien ist ein echter 68er, denn er hat in diesem heißen Jahr der großen Ambivalenz das Licht der Welt erblickt und von Anfang an, scheint es, für seine Texte recherchiert. Das balkanische Licht selbstverständlich. Ein besonderes, wie zumindest seit 1914 bekannt sein dürfte, als an jener Brücke in Sarajevo Schüsse fielen. „Ein historisches Schuldgefühl“ erfasst dort den Dichter mit der Kamera „Smena“ im Anschlag. Vorgeführt wird, wie gute Metaphern sind: schlicht und überzeugend. Es ergeht einem wie dem Schulkind vor dem Lehrer: Wenn dunkle Wolken sich zusammenbrauen, dann nimmt die Weltgeschichte einen anderen Gang oder… es regnet. So sehen es der Dichter und sein philosophierendes Alter Ego, die flexible Figur Gaustín (bekannt als Der Mensch mit den vielen Namen aus dem auf Deutsch 2004 erschienen Buch). Womit wir bei der Motiv-Verflechtung von Prosa und Gedicht bei Gospodinov sind. Nicht nur liefert der Prosa-Gaustín Stichworte, semitheoretische ‚Vorwürfe‘ und Motti für Gedichte. Auch der grandiose Natürliche Roman (bulgarisch 1999; deutsch 2007) korrespondiert hör- und sichtbar mit den Versen wie mit den Gegenständen, die sie bewegen. Derselbe kraftvolle Ton, der keins der Alltags-Tabus anerkennt. Ob im Roman ein Mann mit seiner Ehefrau lange Gespräche führt, während sie auf dem Klosett hockt, oder ob die Laùra des gleichnamigen Gedichts gesteckt bekommt, was für einen Kerl sie sich nehmen soll:
Nicht einen, der auf der Toilette leise pritschelt, sondern einen, der brunzt, der plätschernd pisst…
Da spricht er, der Positivist, der nichts auslässt und die Dinge beim Namen nennt. Andernorts begegnet er uns als ein Denker von nahezu asiatischer Statur. Siehe die eröffnende Meditation über das kleine „es“, das mit seinem bescheidenen Weltschöpfertum unserer Sympathie gewiss sein kann…
Uwe Kolbe, Aus dem Nachwort, Oktober 2009
interessantester Lyriker, er ist – dank seiner zahlreichen Übersetzungen – auch die wichtigste literarische Stimme seines Landes. Dieser erste deutsche Auswahlband versammelt ausgewählte Gedichte aus den bisher vorliegenden Lyrikbänden, vom mehrfach mit Preisen bedachten Debütband Lapidarium (1992) bis zu seinem jüngsten Zyklus Die Sonntage der Welt (2007), ergänzt um bisher unveröffentlichte Texte.
Die Leser des Natürlichen Romans werden einiges an Themen und Motiven wiedererkennen: da gibt es zahlreiche Fliegen, da gibt es das konfliktreiche Feld der ehelichen Treue, aber vor allem konzentriert sich das lyrische Universum von Georgi Gospodinov auf die Kreatürlichkeit unserer Existenz – „Mit dem Körper will ich beginnen / mit der göttlichen Laune unserer Verschiedenheit“ – und infolgedessen auch auf ihre Hinfälligkeit. Das Fest des Lebens geht unmittelbar in ein Totenfest über, dem dieser „experimentelle Humorist der Verzweiflung“ (Jörg Plath) sehr pointierte Beobachtungen abgewinnt.
Zwischen epigrammatischer Kürze und Epistel in Prosa, zwischen Witz und Elegie bewegen sich diese Gedichte, und der Schrecken der Vergänglichkeit, der Geschichte (des Balkans insbesondere) und nicht zuletzt der Liebe wird in ihnen nur mühsam durch eine sehr trockene Komik in Bann gehalten.
Literaturverlag Droschl, Ankündigung, 2010
− Georgi Gospodinovs Poesie des Banalen. −
Der alte Beatnik Allen Ginsberg ist tot. Irgendwo in einem bulgarischen Nest trauert ein lyrisches Ich neben einer rostigen Sämaschine. Daneben jammert „der verrückte Risto“ um seinen Hahn, den ein Lkw überfahren hat.
So saßen wir da
Ich Allen Ginsberg der verrückte Risto
der Hahn und Lev Nikolaevic mit Byron
(der Graf neben dem Lord) und schälten Sonnenblumenkerne.
So kommen die Welt und die Weltliteratur nach Bulgarien und Bulgarien in die Welt.
Es ist das Banale, das Einfache, das Absurde, das in den Gedichten Georgi Gospodinovs die Hauptrolle spielt: die Dinge des Alltags, die kleinen Tragödien und die vergessenen Freuden der Kindheit, auch die kleinen und größeren Grausamkeiten, der Tod einer Fliege, das Wiedersehen mit einer Frau, die einen vor sechs Jahren verlassen hat, einfach so, während sie das Abendessen kochte. „Komme gleich wieder und zog nicht einmal die Tür zu.“ Nach Jahren ist sie beim Wiedersehen erschrocken „wie jemand, der sich erinnert, / das Bügeleisen angelassen zu haben…“.
In lyrischen Miniaturen wird aus dem gewöhnlichen männlichen Urinieren im Wald ein „Wölkchen aus Dampf“, ein beschaulicher ländlicher Nachmittag mutiert zur „Totenmesse der Fliegen“ und der morgendliche Gang zur Außentoilette endet im tragischen Austritt: mit einem „kleinen Verbrechen“, dem versehentlichen Zertreten einer Schnecke. Das Kreatürliche, das Verletzliche, das Vergängliche sind die beherrschenden Themen dieses schmalen Bändchens, mal verpackt ins Elegische, mal humorig-ironisch, mal in freier Versform, mal als Lyrik in Prosa.
Die Worte bleiben in der Schwebe, für einen Moment wird der Sinn erschüttert, ohne dass die Lücken der Sprache gleich wieder mit Dekor zugestopft werden. Vergnügen bereitet der Überraschungseffekt, jener Genuss, der einen beim Verzehr der einfachen Speisen aus der Kindheit überkommt, eine Poetik des Alltags eben, wie sie in der Ich-reflektierenden Lyrik unserer Zeitzonen selten geworden ist. Es wir gekalauert, kurz und selten scherzlos erhält jedes Wort seine Bedeutung: „Eine Biene krabbelt / über den ganzen Himmel“.
Gospodinov, so Uwe Kolbe in seinem Nachwort, tritt zurück und gibt den Blick für den Leser frei. Worauf? Auf das, was wir sonst übersehen und überhören. Geboren wurde der Dichter 1968 im bulgarischen Städtchen Jambol, einem Kleinod antiker und mittelalterlicher Geschichte. Nach dem Studium der Philologie in Sofia in den Jahren des Umbruchs debütierte er 1992 mit dem Gedichtband Lapidarium. International bekannt wurde Gospodinov mit seinem Natürlichen Roman (1999; dt. 2007), der skurrilen Geschichte einer Ehekrise. Alle siebzehn Seiten versucht der Erzähler, neu anzufangen. Interpretiert wurde dies als fulminanter Ausdruck der Leere der postkommunistischen, postmodernen, postideologischen bulgarischen Gesellschaft.
Das nun vorliegende schmale Bändchen liefert eine Auswahl aus Gedichtsammlungen der Jahre 1992 bis heute. Nach dem „Entgräten der Texte“ bleiben darin die elementaren Dinge zum Verzehr übrig, jene letzten Dinge, die eben nicht die einfachsten sind. In einem Haiku-Dreizeiler heißt es: „Nacht für Nacht / von der Frau träumen / neben der man liegt“.
Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.3.2010
Die Gedichte von Georgi Gospodinov haben häufig etwas Haikuhaftes an sich; mitunter setzen sie auf den Überraschungseffekt, auf das kurze Aufblitzen von etwas, das man für eine tiefere Wahrheit zu halten geneigt ist. So etwa in jenem Gedicht, in dem Henne und Ei sich gegenüberstehen „und keiner von beiden / sagt / Mama“.
Ausnahmsweise streift der 1968 im bulgarischen Jambol geborene Gospodinov in diesen Versen die Gefilde nicht nur der Metaphysik, sondern auch der Kalauer. Allein auf die Pointe aber kommt es ihm selten an. Dem Autor des vielgelobten Natürlichen Romans (2007) geht es darum, kleine Momente der Erleuchtung festzuhalten, und manchmal braucht er dazu nicht einmal die drei Zeilen eines Haiku: „Eine Biene krabbelt / über den ganzen Himmel“, lautet etwa das Gedicht „Fenster“. Kaum weniger konzentriert heißt es in „Nachmittag. Stunden“:
Es fällt ein Apfel und verfault
wenn Regen fällt –
Schnaps.
Aber auch Gospodinovs längere Gedichte wirken kondensiert und schlackenfrei, wie von fester Hand geordnet. Um Tod und Liebe geht es in ihnen, und wie man in dem von Valeria Jäger, Uwe Kolbe und Alexander Sitzmann hervorragend übersetzten Auswahlband nun nachlesen kann, eben immer wieder auch um den alltäglichen Augenblick:
Eines Abends
im Hotelzimmer
im staatlichen Rundfunk
hören, wie der Nachrichtensprecher
die Hiobsbotschaften mit
einer einzige Meldung erschöpft:
Schwarze Katze entlaufen
im Stadtzentrum…
(Das war es für heute von uns, gute Nacht!)
Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung, 20.2.2010
Die Beatles-Songs der frühen Kindheit: „Hey Jude“ und „Yellow Submarine“ drehen sich überraschend unsentimental auf dem Plattenteller des 1968 geborenen Bulgaren. Den modisch hektischen Schnitten und Überblendungen folgt der gelassene Skeptiker nicht, setzt vielmehr auf Miniaturen, in denen die alltäglichen Dinge für sich selbst sprechen: das vom Baum fallende Blatt, die über eine Mauer rennende Ameise, das durchs Zimmer wandernde Licht des Nachmittags. Unter der langsamen lyrischen Lupe erscheinen die geringsten Dinge stellvertretend für alles Gesetzmäßige im Werden und Vergehen. „Gott ist eine Tomate“ heißt es lakonisch. Das sind lauter kraftvolle, ruhige Augenblicke zwischen Geburt und Tod – ironisch, elegisch und witzig dargeboten in minimalistischen freien Versen. Selbst die Beschreibung skurriler Szenen vermeidet alles Geschwätzige: die Trauergemeinde legt die schwarzen Anzüge bereit, während der „Verstorbene“ noch am Leben ist; ein Mann trifft eine Geliebte wieder, die ihn vor sechs Jahren „einfach so“ verließ („komme gleich wieder“). Es sind die kleinen Tragödien, Komödien und Grotesken des Alltags, die die Verse in ihrer Einfachheit und Banalität liebenswert machen. Der Humor verlässt den Dichter nie – ob er nun mit dem Charme der Provinz Alan Ginsbergs gedenkt, Goethe, Whitman, Bukowski, Pasternak oder Salinger in den bulgarischen Alltag holt oder sich in Griechenland, Österreich, Frankreich, Italien oder in Deutschland tummelt. Der Orient kommt als geometrisches Muster ins Bild, Geschichte als Fotografie. Die Tiefenschärfe, die die Momentaufnahmen vermissen lassen, liefert Gospodinov in korrespondierenden Prosatexten, die er als Briefe an sein Alter Ego Gaustin tarnt. Die vorliegende Auswahl der Gedichte zeigt einen Autor, der sich sowohl sprachbezogen parodistisch mit dem „Entgräten von Texten“ befasst als auch mit dem Kreatürlichen alles Lebendigen.
Dorothea von Törne, welt.de, 12.6.2010
Vielleicht ist Bulgarien nichts anderes als ein schönes Tier, das der Finger auf der Landkarte entdeckt:
Katze, Maus und Hund
die Erde die ist rund
Amsel Eule Möwe
Bulgarien ist ein Löwe
vor einem Schälchen Meer
der Ozean blutig ringsumher.
Es mag aber auch sein, dass der bulgarische Löwe sich plötzlich in einen Hund verwandelt, der neben einem bulgarischen Hirtenhund einen serbischen Schäferhund und einen albanischen Windhund in sich vereint. Ein solcher „Mischling des Balkans“, wie Georgi Gospodinow ihn nennt, scheint ein höchst unberechenbares Wesen zu sein:
er taugt für die Jagd
leckt jedem die Hände
ist nicht böse, wenn man ihn anschreit
nur manchmal nur manchmal
(sehr selten jedoch)
stürzt er los und beisst und beisst und beisst…
Begeisterung für das Kleine
Wenn Georgi Gospodinow zu schreiben beginnt, taucht er tief ein in die Schichten der Vergangenheit. In seinen locker gefügten Versen versetzt er Erinnerungen an die Kindheit ebenso in ironische Schwingung wie Bilder vom Tod oder Liebesszenen – nur dass es sich bei ihm gleich um die „Auflösung der Liebesarmeen“ handelt. Doch er begnügt sich nicht mit Kindheitsbildern, sondern horcht der Geschichte und den politischen Echos seines Geburtslandes Bulgarien und des Balkans nach. Das Politische senkt Gospodinow in die Bilder und in die Wendungen seiner Verse ein. So ist es für den Leser stets spürbar, nicht als platte Botschaft, vielmehr als Fluchtpunkt oder als innere Spannung der Gedichte.
Aber was wären Gospodinows Verse ohne die Liebe?
Ich beginne mit den blonden Frauen
in ihnen ist Leichtigkeit
in ihnen ist Feierlichkeit
als hätten sie Pasternak gelesen
oder auch Burns.
Bisweilen mag sich der Dichter zu sehr in der Rolle des Barden gefallen, der seinen Männerphantasien frönt. Da rutscht ihm dann schnell ein „Haiku für Männer“ aus der Feder:
Mann am Wegesrand
befeuchtet herbstliches Laub
ein Wölkchen aus Dampf.
Meist aber zaubert Gospodinow aus der Liebe genau jene „Leichtigkeit“ hervor, die es ihm erlaubt, zwischen den Erscheinungen hin und her zu springen und sie am Ende doch in den melancholischen Grundton seiner Verse einzupassen.
Ideen wie die der Liebe oder der Erinnerung sind in Gospodinows Gedichten stets gegenwärtig. Aber es gelingt ihm auch, am Beispiel einer einfachen Fliege die ganze Evolution einzuholen, samt Darwin-Büste und „Mendeleevschem Periodensystem“. Diese Begeisterung für das Kleine, scheinbar Nebensächliche durchzieht die Texte von Beginn an. Um die Kleinigkeiten nicht zu verlieren, macht Gospodinow einmal den Vorschlag, das Leben fortan nicht mehr in Jahren, sondern in Tagen, vielleicht sogar in Stunden zu messen, weil man so mehr Zeit und mehr Erinnerungen an die Dinge ansammeln würde. Allerdings scheint das gar nicht nötig zu sein, verwandelt Gospodinow doch schon das Gedicht in eine Gedächtniskapsel für das Einzelne. In seinen wunderbaren „Elf Definitionen“ etwa, die jenes kleine „es“ umkreisen, das für manche die Kraft ist, mit der das Blatt vom Baum fällt, für andere etwas schlichtweg Göttliches:
es
ist schwindend und brüchig
benennst du es stirbt es
fängst du es geht es fort
und zerschmilzt in Leer-
es.
Nicht nur in diesen kurzen Stücken schleichen sich immer wieder Gedanken an den Tod in die Verse. Er ist der grosse Gegenspieler der Liebe, aber Gospodinow weiss ihn zu bändigen. Es ist eine fast schon wienerisch zu nennende Feier des Moribunden, die er zuweilen pflegt. Nicht von ungefähr widmet er ein ganzes Gedicht den Krähen von Wien, doch sind es bei ihm nicht einfach nur Todesvögel, Gospodinows Krähen haben durchaus etwas übrig für die Musik:
Krähen mit Fräcken
und mit Fagotten
Requiemskrähen
ausgelassene Noten
atonal manchmal
Schönberg bestohlen.
Es ist eine eigene Kunst, wie Gospodinow die Verse metaphorisch auflädt oder in kleinen Pointen staut. Am schönsten sind die Szenen indes, wenn es ihm gelingt, die Beschreibung langsam in ein Bild abgleiten zu lassen:
Ein älterer Herr
mit wattiertem Jäckchen und Gürtel
geht zu Mittag
vorbei am Zaun vorbei am Zaun
des Dorffriedhofs
immer langsamer und langsamer
immer tiefer hinab.
Kunst des Verses
Immer tiefer hinab, immer weiter hinein in die Bedeutungsschichten der Sprache führen diese wunderlichen Gedichte. Leider ist die Ausgabe einsprachig gehalten, so dass man als Leser nicht einmal eine Klangspur des Originals erhaschen kann. Doch die Übertragung ist ein Trost, und gewiss kein kleiner. Die Übersetzer, gleich drei an der Zahl, haben Georgi Gospodinows Sprache in ein geschmeidiges Deutsch verwandelt. Sie machen nicht nur die vielen Einsprengsel aus der Alltagssprache hörbar, sondern auch die Kunst des Verses, eines Verses, der den Miniaturen Jan Skácels mindestens ebenso viel verdankt wie den amerikanischen Beat-Poeten. Vielleicht kann man es mit Gospodinows „Technik zum Entgräten von Texten“, bei der man alle Konsonanten aus den Wörtern entfernt, so sagen: U E I E E ! Will heissen: UNBEDINGT LESEN!
Wenn Georgi Gospodinov zu schreiben beginnt, taucht er tief ein in die Vergangenheit. In seinen locker gefügten Versen versetzt er Erinnerungen an die Kindheit ebenso in ironische Schwingung wie Bilder vom Tod oder Liebesszenen. Doch er horcht auch der Geschichte und den politischen Echos seines Geburtslandes Bulgarien nach. Das Politische senkt Gospodinov in die Wendungen seiner Verse ein. So ist es für den Leser stets spürbar, nicht als platte Botschaft, vielmehr als Fluchtpunkt oder als innere Spannung der Gedichte.
Aber was wären Gospodinovs Verse ohne die Liebe?
Ich beginne mit den blonden Frauen
in ihnen ist Leichtigkeit
in ihnen ist Feierlichkeit
als hätten sie Pasternak gelesen
oder auch Burns.
Bisweilen mag sich der Dichter zu sehr in der Rolle des Barden gefallen. Meist aber zaubert Gospodinov aus der Liebe genau jene „Leichtigkeit“ hervor, die es ihm erlaubt, zwischen den Erscheinungen hin und her zu springen und sie in den melancholischen Grundton seiner Verse einzupassen. Manchmal holt er am Beispiel einer einfachen Fliege auch die ganze Evolution ein, samt Darwinbüste und „Mendeleevschem Periodensystem“. Diese Begeisterung für das Kleine, scheinbar Nebensächliche, durchzieht die Texte. Einmal macht Gospodinov den Vorschlag, das Leben fortan nicht mehr in Jahren, sondern in Tagen, vielleicht sogar Stunden zu messen, weil man so mehr Erinnerungen an die Dinge ansammeln würde. Aber das scheint gar nicht nötig zu sein, verwandelt Gospodinov doch schon das Gedicht in eine Gedächtniskapsel für das Einzelne.
Nicht nur in diese kurzen Stücken schleichen sich immer wieder Gedanken an den Tod. Er ist der große Gegenspieler der Liebe, aber Gospodinov weiß ihn zu bändigen. Es ist eine fast schon wienerisch zu nennende Feier des Moribunden, die er zuweilen pflegt. Nicht von ungefähr widmet er ein ganzes Gedicht den Krähen von Wien, doch sind es bei ihm nicht einfach nur Todesvögel:
Krähen mit Fräcken
und mit Fagotten
Requiemskrähen
ausgelassene Noten
atonal manchmal
Schönberg bestohlen.
Es ist eine eigene Kunst, wie Gospodinov die Verse metaphorisch auflädt oder in kleinen Pointen staut. Am schönsten sind die Szenen indes, wenn es ihm gelingt, die Beschreibung langsam in ein Bild abgleiten zu lassen:
Ein älterer Herr
mit wattiertem Jäckchen und Gürtel
geht zu Mittag
vorbei am Zaun vorbei am Zaun
des Dorffriedhofs
immer langsamer und langsamer
immer tiefer hinab.
Immer tiefer hinab, immer weiter hinein in die Bedeutungsschichten der Sprache führen diese wunderlichen Gedichte. Leider ist die Ausgabe einsprachig gehalten, sodass man als Leser nicht einmal eine Klangspur des Originals erhaschen kann. Doch die Übersetzer, gleich drei an der Zahl, haben Gospodinovs Sprache in ein geschmeidiges Deutsch verwandelt. Seine wunderbaren „Elf Definitionen“ etwa, die jenes kleine „es“ umkreisen, das für manche die Kraft ist, mit der das Blatt vom Baum fällt, für andere etwas schlichtweg Göttliches:
es
ist schwindend und brüchig
benennst du es stirbt es
fängst du es geht es fort
und zerschmilzt in Leer-
es.
Tobias Wenzel besucht den bulgarischen Schriftsteller Georgi Gospodinov im Dorf General Tosheva, wo die Quelle seiner Fantasie zu liegen scheint.
Tomas Fitzel porträtiert den bulgarischen Schriftsteller. Georgi Gospodinov: Das unübersetzbar Traurige
Georgi Gospodinov entdeckt Berlin.
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