FLOWER POWER
Die Macht von so Blumen in Haaren in Augen in Hän-
den die Macht von so Blumen über Gewehre in
aaaaaBlumen
der Tod in Gerüchen Farben Nuancen die Macht von
so Blumen über den Tod und jenen die Macht der
aaaaaMäd-
chen der Blumen dieser so einzigen Blumen zwischen
den Schenkeln die Macht io credo die Herrlichkeit
von so Blumen von Mädchen ich glaube in unum deum o
wäre doch Stalin gestorben mit Blumen in Händen in
Haaren noch jung und zaristisches Blei in der Brust
io credo so sag ich an Mädchen an Blumen an die so
einzigen Blumen die Macht und die Herrlichkeit die-
ser so einzigen Saneta Ecclesia Blumen so bunt so Ge-
rüche von Aix en Provence Avignon
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaman muß sie auch
pflegen
aaaaaaaa(die Macht)
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaadiese Blumen Horovitz sagt es aus
London sagts in Berlin er liest ein Gedicht und sagt
es dazwischen
aaaaaaaaaaaaaaMy ancestors came from Hungary where
Horovitz was a town
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaich breche die Zeile neu die
Macht und der Tod diese Blumen
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaatu
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa(felix Austria)
nube
sind diese Gedichte zum Vorlesen bestimmt. Das heißt, sie verlangen keine dunkle und intime Aufmerksamkeit, sondern sind an ein Publikum gerichtet, das zusammensitzt und den Vortrag quittiert. Das Sermonhafte, der gebändigte Redeschwall, die langen Zeilen und die ausgedehnten Strophenfolgen weisen darauf hin. Die Substanz kommt aus österreichisch-wienerischer Urbanität mit den Freundschaftsgefolgen und den gleichsam offiziellen Intimsphären, die beredet und memoriert werden. Aber hier setzt etwas ein, das über den bloß privaten Bereich hinausgeht. Diese sieben Gedichte sind in Berlin geschrieben und die Distanz von Österreich macht sich bemerkbar in einer merkwürdig genauen Erinnerungslust oder Erinnerungssucht und der Sucht, ein neues Identitätsgefühl in einer neuen Umgebung zu finden. Es sind Geheimkammern des Gefühls, die in diese langen Gedichte eingebaut sind. In ihnen verbindet sich Authentisch-Privates mit historischem Bewußtsein, das gerade bei österreichischen Autoren so sehr in die Augen springt.
Literarisches Colloquium Berlin, Klappentext, 1968
FÜR Österreicher und andere Wiener, für Anhänger des Hauses Habsburg, Berlin-Gäste, persönliche Freunde von H.C. Artmann und Eisbeinesser, für Rezitatoren auf der Suche nach sprechbaren lyrischen Texten, Liebhaber von langen Gedichten und dünnen Büchern, sowie für Dichter-Miezen –
ES ENTHÄLT sieben Gedichte zum Vorlesen, die jedoch auch dem einsamen Leser im stillen Stübchen zum Vergnügen dienen können, vorausgesetzt, er bewegt bei der Lektüre zumindest die Lippen.
ES GEFÄLLT, weil der Wiener Bisinger mit diesen Gedichten der Lyrik das Forum der Öffentlichkeit zurückzuerobern sucht. Es sind Gedichte, die sich der Versenkung ins Innerliche verweigern, aber ihre Rhetorik ist nicht von der Leere, die uns von öffentlichen Personen sattsam zu Gehör gebracht wurde, indem sie bloß ihren Mund öffneten. Sie ist nicht glatt, sondern uneben, fast holprig. Sie hat Widerstände zu überwinden. Die eigenwillige Syntax wirkt dem rhythmischen Fluß der Verse entgegen. In dieser Spannung siedelt der Sinn dessen, was der Autor vorgelesen wissen möchte. Der Sprecher wird also mit diesen Texten zu kämpfen haben. Formal und sprachlich scheinen sie an den längeren Gedichten von Günter Grass orientiert zu sein, an „Kleckerburg“ zum Beispiel. Wie dort, so ist auch in Bisingers Gedichten ein merkwürdig gebrochenes Verhältnis zur Vergangenheit zu konstatieren. „Geschichte Plunder Fundus oder nicht“ schreibt Bisinger im ehedem preußischen Berlin zum Gedenken der hundertsten Wiederkehr des Tages, da bei Königgrätz die Österreicher den Preußen unterlagen. Alle sieben Gedichte sind vollgestopft mit Erinnerung, mit der privaten des Autors und der historischen des Österreichers Bisinger. Seine Gegenwart erweist sich auf eine weit ungezwungenere Weise von der Tradition bestimmt, als wir dies von Autoren deutscher Herkunft kennen. Sie wird weder verdrängt, noch verleugnet, noch gepriesen. Sie ist ein Faktum, und was als Plunder gelten kann und was als Fundus, läßt sich nicht leicht entscheiden. Aber auf eine Entscheidung sind diese Gedichte auch nicht aus. Das ist das Undeutsche und also vielleicht das österreichische an ihnen.
Man mag ihn mit einem Glas in der Hand ertappen, soll man daraus aber Schlüsse ziehen? Rimbaud handelte mit Sklaven, und Schubert starb an der Syphilis. Er allerdings schmuggelt allenfalls kaisertreue Traktate ins Veneto. Die Welt ist nicht nach seinem Rhythmus gebaut, ach, gäbe es einen Gott, der den Fuß an die Achse halten und den Lauf der Welt so bremsen könnte, daß er mit ihm übereinstimmte. Dann würde er sich mit staunenerregender Sicherheit bewegen, ging er blind über Drahtseile und spräche alle Sprachen der Welt. Es gibt Kulturen, in denen die Menschen sich so bewegen wie die Blumen wachsen, aus so einer kommt er. Wir andre, wir zucken herum wie die Irren, mit der linken Hand drehen wir am Fernseher, mit der rechten blättern wir die Zeitung um, mit dem Mund tasten wir nach dem Bierglas. Er ist eher wie Cäsar, der auch nur eine Sache aufs Mal machte, die aber richtig. Er wohnt an einem Ort, den er haßt, vielleicht haßt er auch die Orte, an denen er nicht wohnt. Glücklich ist er, wenn er einen Risotto ißt. Er erzählt manchmal davon. In Italien schlendert er durch die Rebberge wie ein König im Exil. Er kommt immer rechtzeitig zum Abflug der Maschine nach Berlin, weil er eigentlich die vorhergehende erreichen wollte. Wenn nachts um vier das Telefon klingelt, ist es, und eine warme Luft aus polnischen Wodka strömt ins Zimmer. Wir atmen tief ein, während wir ihm zuhören, langsam vergessen wir, wo und wie wir leben, schon atmen wir in seinem Tempo, und jetzt ist auch für uns ein Tag eine Minute und eine Minute ein Tag.
Urs Widmer, Manuskripte, Heft 47/48, 1975
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