Gerda Zeltner: Zu Walter Helmut Fritz’ Gedicht „Schrift und Gegenschrift“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Walter Helmut Fritz’ Gedicht „Schrift und Gegenschrift“ aus Walter Helmut Fritz: Gesammelte Gedichte. −

 

 

 

 

WALTER HELMUT FRITZ

Schrift und Gegenschrift

Wenn wir schreiben,
tun wir es auch heute
− lebend in einem provisorischen Zustand −
mit einer Feder
aus den Flügeln des Ikarus,
der Gegenschrift folgend,
die aus Pflanzen, Tieren, Menschen
besteht, aus dem Zerfall, der
eingeboren ist allem Werden,
aus Steinen und Wellen, den großen
Unternehmungen der Landschaft
und dem Labyrinth, zu dem
jeder Weg werden kann.

 

Ein Lieblingsgedicht von mir,

nicht nur weil es so schön und stimmig in sich selber steht und mit einem zauberhaften Bild beginnt. Vielmehr auch, weil es sehr viel Wesentliches über den Dichter sagt. Die Gegenschrift will er schreiben gegen den Helden, der seiner steilsten Sehnsucht nachfolgte hinaus aus der Welt mit ihren Zwängen und Schranken: eine Gegenschrift des Ausdauerns bei den gewöhnlichen Dingen des Alltags und ihrem Schicksal. Kaum ein Dichter hat ihnen so viel Behutsamkeit und Aufmerksamkeit entgegengebracht wie Walter Helmut Fritz. Was immer es sei, eine Lampe, eine Schnecke, ein Stein, will er ernst nehmen in ihrer eigenen Wirklichkeit. „Gib den Dingen das Wort“ lautet der Titel eines Gedichts; das wird immer ein frommer Wunsch bleiben, eine „douce illusion“, wie Francis Ponge sein verwandtes Vorhaben einmal nannte; lebenswichtig bleibt trotzdem die Mahnung, nicht mit voreiligen Worten in die Welt der Dinge einzugreifen, sie nicht sich selbst zu entfremden, indem man Bedeutungen in sie einschreibt, sie zu Metaphern macht für ein eigenes Anliegen.

Gerda Zeltner, aus Walter Helmut Fritz: Ausgewählte Prosa und Gedichte, Wallstein Verlag, 1999

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