Gerhard Falkner: Bemerkungen zum Gedicht von Christian Lehnert

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zum Gedicht von Christian Lehnert. Auswahl aus Christian Lehnert: Ich werde sehen, schweigen und hören. –

 

 

 

 

CHRISTIAN LEHNERT

„die wimmelnden Kaulquappen“
„tautrunkene(n) Vögel“
„ein Anflug der Hummeln“
„das hungrige Irren der Krähen“
„ein Klippdachs“
„Ohrenbeißer“

Christian Lehnert: Ich werde sehen, schweigen und hören

 

Vignetten neuer deutscher Dichter

Auf den ersten Blick scheint es Landschaft zu sein, und diese Landschaft wird gestützt durch Orte, belegt durch Namen, beleuchtet von Witterungen, gepanzert mit Details, festgenagelt mit einer unerbittlichen Liebe zur naturwissenschaftlichen Genauigkeit und schlußendlich versehen mit dem Stempel des Augenblicks.
Aber je konkreter die Landschaft fixiert wird durch Kugelalgen, die weißen Vakuolen des Quarz, Eintragungen von Reiseetappen, je weniger austauschbar sie zu werden scheint und droht durch den keltischen Altar oder die Kirche zu Burkhardsweide, desto mehr befreien sich diese Orte von den Fesseln ihrer Unentrückbarkeit, desto mehr entrücken sich diese Orte in Sprache selbst.
Und in dem Wort, das es nannte, so schreibt Christian Lehnert, verschwindet das Festland. Das Festland, die Landschaft, das Gesehene entrückt in ein Gebiet der Sprache, in dessen hundertfacher Schräge die Sonne sich spiegelt.
Was hier am Werk ist, man merkt es schnell, ist Transzendenz und Verzückung. Aufhebung der Einzelheit und der Individualität in der Totale. „Schätze, die sich verzehren im Erfinden eines Namens, der sie verbirgt“, heißt es an anderer Stelle. Immer und immer wieder das Verschwinden von Welt hinter dem Begriff.
Damit liefert Lehnert einen Beleg, dass die Welt weiter nichts als die Gesamtheit all dessen ist, was Sprache zu finden bzw. erfinden vermochte, und der Dichter als größter Erfinder von Sprache ein Weltenschöpfer und damit im Umkehrschluß auch Gott der Dichter der Dichter.
Somit haben wir schon vieles, was in diesen Gedichten eine wesentliche Rolle spielt, reale und poetische Religiosität, mystische Entrücktheit, auch Verzückung, transzendentale Aufhebung des konkreten Raums, „das Heimkehren des menschlichen Blicks in die Schrift der Kristalle“, das Leben ein Traum, und Christian Lehnert fragt sogar wörtlich:

Auf der Erde zu sein, wer hatte zuerst diesen Traum?

Ikonographisch sind die Gedichte christlich, das Kreuz, das Lamm, die Glocke, auch wenn Christian Lehnert über die christlich-mystische Zuordnung nicht immer glücklich ist, sagt er doch selbst: Gott ist nirgends, überall sind die Spuren seines Fehlens, aber die Nähe zum immer wieder in seinem Zusammenhang erwähnten Meister Eckhard und zu Silesius und anderen Mystikern ist nicht von der Hand zu weisen, eine mystisch religiöse Schöpfungsumarmung und ein auf Rilke verweisendes, glaubenstiefes Eindringen in die Dinge mittels Vision und Illumination.
Was allerdings das Entscheidende ist, keine Spur von Verstaubtheit findet sich an irgendeiner Stelle dieser Gedichte, sie sind klar, frisch, äußerst suggestiv und bildmächtig, altes Material, aber in neuer Bearbeitung.
Und eine Warnung an sich selbst, nur nicht Futter werden.

Gerhard Falkner, Park – Zeitschrift für neue Literatur Berlin, Heft 63, Juni 2009

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