Gerhard Falkner: Bemerkungen zum Gedicht von Ulrike Draesner

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zum Gedicht von Ulrike Draesner. –

 

 

 

 

ULRIKE DRAESNER

sich verstecken

als haughty horse (fremdsprache) schwankend
und steif leider nicht im taxi sondern in meinem
haus schon eingezogen zog mein mann andere frauen
aus. das zimmer verkrustete in fasrige wände dass man
nicht gehen könne dass man fliegen müsse die anderen
(fliehen) hatten ein telefon mit ihm verschmolzen da
wurde in der dunkelheit des allgemeinen kletterns ich
der prinz der den blick nicht ertrug gewickelt
in eines fleck-gefickten ponys fell. zeige dir
sagte mein mann die vielfalt deiner eigenen
inneren fallen hyperreal bist du die wand
der sessel die schlange und ebeneben das seelchen
wie es wieder nur weißlich made mädlein
den eigenen groß gequollenen augen über
den flokati folgt. willst du’s wirklich erhämmern?
da dachte ich an das alte maulwurfspiel man
schlug die dunklen hügel ein der andere steuerte
die cd im computer. es ging um blindes
das zurückgedrückt in seine höhle fast erstickt
doch noch immer zärtlich rudernd die erde
einmal ganz zu umkriechen versucht

 

pandora reicht’s

der mich mit grünem krug malte und einem fenster
als interieur
aaaaaa aaaaneben bra-shop an doppelschalen
die urpflanzig helisch einander umstanden
mich mopsig bepömpst aufstellte dem werd ich
helfen. die zweite brust war besser als die gieranie
mömps und fleischfarbenes äugeln. wie knipst
oder knirpst so ein hölzchen die jüngeren
die doch so viel evereren an? ihr immun
entwickelt karnickeltes ich: als rosa
heftchen kinn+brustpilzchen
gleichermaßen
gereckt.
aaaaaaaaaaaaaer stellte mir gimpel
ein schränkchen hin. „für dorle“ rot
grau schwarz schuhe „ich ärgere mich“,
am dritten tag sagte bewachermops: haltet
grad wie ich das mythennäschen
in den wind. hier wird gnadenlos
aagefpoppt

 

Hohes Ross

Sagen wir mal: „haughty horse“, Fremdsprache hin oder her, heißt „hohes Ross“! Bereits mit dieser Übersetzung haben wir alle Fluchtwege ins Geläufige abgeschnitten.
Trotzdem, wenn wir den Raum des Gedichts erschließen, droht im Hintergrund der Begriff: „geiler Bock!“, und es entsteht der Eindruck, diese Ambivalenz ist das Ziel.
Unüberhörbar, unüberlesbar handelt es sich um ein Gedicht, das seine Sporen aus der Eifersucht und aus der Wut über das „Betrogen-Werden“ bezieht, aber die dichtende Akteurin duldet nicht den Verdacht der Projektion. Also verdünnisiert sich die Projektion entweder in die Zweideutigkeit oder in die Vieldeutigkeit der poetischen Anverwandlung, wirkt dort aber dafür umso deutlicher als die treibende Kraft.
Wir wollen uns nicht bei den Offensichtlichkeiten aufhalten, wie dem „fleck-gefickten ponys fell“, das auf Grund seiner Explizitheit der Eleganz der Verzweiflung eher abträglich ist. Auch nicht bei „schwankend und steif“ und den wie in der Malerei gesetzten Lichtern auf dunklen Hintergründen. Es ist vielmehr die Vielfalt der eigenen inneren Fallen, die das Gedicht zu einer schlaglochübersäten Straße in die sprachlich entrüstete Befindlichkeit macht.
Aber das ist gut so. Das Flehentliche der Sappho gibt dem Unterfangen Glanz.
In dem Gedicht „pandora reicht’s“ noch expliziter!
Da geraten dann die Brüste schlecht-hin ins Kreuzfeuer der Anzüglichkeiten, fremdsprachlich, vulgär umgangssprachlich, doppeldeutig als „Augenpaar der Mamillas“, bis zur doppelschaligen, aber unausgesprochenen Möse, die dann „gnadenlos / gefpoppt“ wird (heißt das: gef-ickt?).
To whom it may concern!
Knirpst so ein Hölzchen wirft gnadenlos abfällig den diminutiven Schwanz jener vor den Latz, die das Schreckgespenst aller betrogenen Frauen schlechthin ist: die Jüngere!
Der Mann wird so beworfen mit Sprache, dass er in keinen Schuh mehr passt, und was der Schuh bedeutet, wissen wir ja alle.
Mich erinnert hier vieles an ein Gedicht, das ich in ähnlicher Verfassung geschrieben habe:

beiseitegelegt hast du Schere und Licht
wie wohl der Abend deinen Augen tut

Da hat mich auch jemand mit grünem Krug gemalt.
Aber es tut gut, sich zu vergegenwärtigen, wer Pandora war, schließlich gibt es die Lesart, dass sie die Büchse selbst war, in der alle Übel der Welt durch die Hoffnung besiegbar blieben, bevor der Mythos die Gestalt der Femme fatale, der Verführerin, um diese Büchse spann.

 

üb’ersetzung

traurige helle – europa
am morgen asien träumend gleitet
der schatten der erde den schatten
voran heute sieht man bei google
vögel ihm folgen auf den atlantik
als wäre es spaß diesen schleier
zu jagen der europa
entblößt
aaaaaaaaaaaaaerob
die helle
auf dem rücken
des immer einen luxus helleren
stiers die kletterte – eifrig
töricht – die all dies nicht
war die niemals sich
nicht täuschte nur
floh
aaaaaaadas ragen
der hörner
die grenze silbern
aaaaaaaaaaaaklein
glänzend im eimer der seefahrt
die segelnden schalen weiß
wie der schatten des stiers
als er die ufer beugte den
geflüsterten horizont:
aaaaaaaaaahellespont
helle, hör:
in der tiefe des meers
das fliegen der fische in licht
das aus dem körper dringt
den als köder sie tragen
vor sich gebreitet zerflossen
die fallen und gründe
des aufbruchs herrlichkeit
entzückend trächtig geknöpft
verheiratet entblößt das fließend
stierische bald eigentierische fell
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaerev

nun strahlt die erde
wider von öl dunkel die
ihr entfliegenden
vögel
aaaaaaaadunkel sie selbst gegen
den raum: eine erinnerung
der alten sonne
die schärfte uns einst
schärfte uns uns ein
schläft nun fast flüstert:
aaaaarêve, rew, rewind

Das Gedicht „üb’ersetzung“ geht einen anderen Weg.
Es besteht aus einer Reihe von Klassenzimmern, in denen die verschiedensten Bilder zur Schule gehen, wie das in Schulen heute bei Schülern verschiedenster Herkunft, Geschlechts, Aussehens, Alters und sozialen Ursprungs ganz normal ist.
Zusammengefasst wird das Ganze durch das Schulgebäude des Gedichts. Einern Gehäuse, in dem viele Türen geschlossen sind.
Worum geht es?
Beginnen wir mit dem Titel: üb’ersetzung. Das beinhaltet zuerst die Übersetzung, die Translation, den Blickwechsel zwischen den Sprachen, dann das Übersetzen (mit dem Boot, der Fähre, dem Schiff), das die wichtigsten Bedeutungscluster des Gedichts verbindet, und das: Übersetzung – das schwebend melancholisch ausgedrückte Zurechtkommen mit dem Ersetzt-Werden durch eine Andere, die der Eroberer nimmt, raubt, entführt.
Das Gedicht bedient sich zu diesem Zwecke einer Reihe klassischer Themen, nämlich der Entführung der phönizischen Königstochter Europa durch den sich in einen Stier verwandelten Zeus. Der Stier ist weiß und verschleppt die leicht bekleidete und oft mit einem wehenden Schleier betuchte (siehe Tizian, Rembrandt) Europa über das Meer. Dies alles verknüpft die Worte Europa, Stier, Meer, Helle, Schleier, Hörner, entfliegende Vögel, Seefahrt, Horizont und Hellespont zu einem dichten Motivnetz.
Die zweite Motivkette, auch wieder verbunden mit Raub und Verstoßung, bildet die Vorgeschichte zum Goldenen Vlies. Auch hinter dieser Entführung steckt wieder ein Gott, nämlich Hermes, und ein Hörner tragendes Tier führt sie durch, der Widder mit dem goldenen Fell. Vor dem Hass ihrer Stiefmutter Ino flieht die thessalische Königstochter Helle mit ihrem Bruder Phrixos auf dem von ihrer Mutter gesandten fliegenden Widder Chrysomallos nach Kolchis. Als sie die Dardanellen überfliegen, sieht Helle verbotenerweise nach unten, wird von Schwindel ergriffen und stürzt ins Meer. So entstand die Bezeichnung Hellespont („Meer der Helle“) für diese Meerenge.

Liebestäuschungen, Leidensmotive und Todesstürze.
Nur am Ende noch ein kurzes Aufleuchten der Sehnsucht, die Bitte, den Traum – rêve – zurückzuspulen: rewind!

Gerhard Falkner, in Gerhard Falkner: Bekennerschreiben. Essays, Reden, Kommentare, Interviews und Polemiken, starfruit publications, 2017

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