Gerhard Falkner: der atem unter der erde

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gerhard Falkner: der atem unter der erde

Falkner-der atem unter der erde

JUDENLIEDCHEN

komm ich heut nicht, komm ich morgen
komm ich morgen bin ich anders
bin nicht besser, bin nicht schlechter
bin vielleicht ein bißchen bleicher, leichter
bin vielleicht ein bißchen tiefer, seichter
hab vielleicht ein viertel mehr der ehre
dafür nur noch halb soviel der schwere
bin dir fremd, wie rohes dem gekochten
oder nah, wie fernes dem entrückten
schmecke wie das süße vom gemochten
wirble wie die füße vom verzückten
öffne mir die hülse von drei losen
schlage draus das dreieck des mißglückten
kann es sein, ich komme auch nicht morgen
hast vielleicht mich gestern schon verstoßen?

 

 

 

Gerhard Falkners zweiter Gedichtband

beginnt mit dem Zyklus „körpervorhersage“ und endet mit der „trauer zum bösen“. Andere Zyklen heißen: „die diskotheken“; „reisen, abnehmende heimat“; „wissen ist melancholie“. Die einschlägigen Fehlfarben für Geburt und Tod werden beschworen, die Städte „in ihren würden / von gestank und schande“, das Verbüßen der Hoffnung, „das recht des schmerzes / auf erinnerung“. Glück als Gedächtnislücke gilt nicht mehr, jedes Nein ist ein Nein am Zerspringen: solche Hinweise lassen sich ergänzen und erfüllen ihren Zweck und sind doch nicht mehr als „ein grober gedanke gegen den sinn und ein ungeschlacht in jedem zitternden herz“. Die Sprache, die Falkner spricht, bedient die Inhalte nicht, ist nicht die Magd des Sinns. Seine Sprache schafft die Inhalte mit und erfindet sie immer wieder noch einmal und anders. Nur so kann sie Widerstand gegen „die ansteckende zeit“ leisten: schön und bitter, beides voll Lust und „damit es sonst davon nicht heißt, es sei / das leben nichts als ein zu knapper anlauf / in den tod“.

Luchterhand Verlag, Klappentext, 1984

 

Die heftigen Bilder

Er nimmt seine Motti von Novalis und Adorno wie von Bob Dylan. Er zitiert Epikur, aber auch den Baedeker über New York oder einen Mauerspruch wie diesen: „Ödipus, du sollst deine Mutter anrufen!“. Doch der 1951 geborene Gerhard Falkner zitiert nicht bloß Ältestes wie Jüngstes, er verarbeitet es auch. Er tut das in seinem zweiten Gedichtband der atem unter der erde ohne Scheu und mit der Lust am Ausgefallenen, aber er benutzt auch die alten Formen und Wendungen der Lyrik, wenn es ihm in den Kram paßt. Den Vorwurf, Epigone zu sein, fürchtet er offensichtlich nicht. So klingt auch, was er über die Väter sagt, nicht wie eine Drohung, sondern wie eine Maxime, die mit ihrer Schärfe spielt:

mit den söhnen sollen die väter
nicht spaßen, sie wachsen unter
der hand, sie werden, wenn sie
groß sind, funkeln wie messer.

Und wirklich haben manche von Falkners Versen schon jetzt jene Schärfe und jenen Glanz, der hier der Zukunft zugeschrieben wird.
Seinem ersten, 1981 erschienenen Band so beginnen am körper die tage hatte der Autor noch ein Statement nachgeschickt, das den Ton des Eingeständnisses anschlug:

ich gebe zu, daß die bilder heftig sind, daß ich einen gedanken oft nur aufgreife, um ihn an einer form aufzuschlagen; ich gebe ja zu, daß nichts daran liegt, eine idee bis ans bittere ende ihrer allgemeinen nachvollziehbarkeit zu führen.

Es war ein listiges Eingeständnis – es sollte die lahme Konkurrenz deklassieren, indem es hervorhob, was für Falkners Vorstellung von Poesie entscheidend war: die Kraft der Bilder und die Eigenwilligkeit des poetischen Gedankens. Die „heftigen“ Bilder, die der Autor anstrebte, waren freilich noch die Ausnahme, nicht die Regel.
Das ist in dem neuen Gedichtbuch schon anders. Nicht daß Falkner, im Sinne einer heftigen, wilden Malerei, der unkontollierten Geste huldigte: er bevorzugt die gezielten Schläge, die kontrollierten Eruptionen. Das kann manchmal grell wirken: „der rio tinto liegt in seinem bett / wie eine menstruierende spanierin“ oder „jahrhundertelang habt ihr die monade masturbiert“. Im Kontext eines erotischen Gedichts oder einer Polemik gegen die Verhunzung der Erde halten solche Zeilen stand. Eine solche „scène de violance“ kann sich aber auch zu einem Rätselspruch beruhigen, der nach Ernst Meister klingt, wenn er Hölderlin rezipiert:

es geht der abgenützte mensch
wenn ihn kälte nicht ausläßt
gern zum ertrinken
zum lungenzerplatzen
ans meer.

In der Gedichtfolge auf Jack Henry Abbott, den mehrfachen Mörder und Autor von In the Belly oft the Beast, geht es Falkner nicht um die Verherrlichung von Gewalt und Aggression, sondern um das Exempel. Abbott erscheint ihm als „weltinsasse“ und „atemhäftling“: „bin einer von vielen / bin einer von allen“.
Man sieht, Falkner ist nicht der „sanfte Heinrich“, wie Benn einen verbreiteten Lyrikertypus verspottete. Er ist kein Dogmatiker, kein Langweiler. Er favorisiert weder eine bestimmte Weltsicht noch eine einzige poetische Methode. Wirklichkeit und Sprache sind ihm gleich interessant und gleich stimulierend. So verblüfft und blufft Falkner gern mit Wortspielen, einfallsreichen oder bloß kalauernden, spricht von „prahlhelm“, „fortschrott“, „aschenkaputtel“, kennt sprachlich „morschzeichen“ wie „ersprochenes“, und nicht bloß „vom herrensagen“. Den Reim benutzt er gewitzt und zugespitzt, gern mit einem schlagenden Nachklappen: „nach solchen schrammen bleibt bloß eine leere kerbe / kein erbe.“
Doch der Sprachspieler Falkner würde unser Interesse nicht lange halten können, wäre er ein weltloser Bastler. Falkner hat sich in der Welt umgetan und gibt sich in der Anrufung der „kolossalen städte“ baalisch weltsüchtig und weltverzehrend. Aber die Ekstase ist durch Melancholie und Ironie gebrochen. Der Hymniker gerät nicht ins Schwitzen, sondern bleibt ein Liebhaber der „klaren, eisigen schönheit“ mit Sinn für Proportion und Detailscharfe. Und seine Bilder können so phantastisch wie genau sein: „ihr schöner schritt / war wie aus rosa lehm gemacht.“ Das leuchtet ein, auch wenn es sich nicht sogleich begründen läßt. Überzeugender noch Falkners Präzisionszeichnung, sein „kaltnadelradiertes gestrichel“ scharfer Bilder: „ein feld kippt finstere krähen um“ oder – in einem Gedicht über Cadiz – „an weißen holmen turnt die brandung.“
Das ist kalt und artifiziell und nicht von besonderer Nähe oder menschlicher Wärme bestimmt. Überraschend darum die letzte Abteilung des Bandes, „die trauer zum bösen“ überschrieben und von dem Wunsch bestimmt, Kälte, Entfremdung und Faszination durchs Böse aufzuheben. Sie enthält einige der schönsten und reifsten Gedichte Falkners, darunter „das graue und das kalte“:

du bist umnachtung, bosheit
bist der keil ins alte
ich bin das splitternde, vereiste
das ins herz verkrallte.

Solche Verse zeigen, daß Falkner das Böse, das ihn fasziniert, nicht ästhetisch ausbeuten, sondern überwinden möchte; daß seine heftigen Bilder nicht der Aggression dienen, sondern dem Versuch, den „winter aus der sprache zu treiben“.

Harald Hartung, als: Den Winter aus der Sprache treiben, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.4.1984

Bildliche Sensibilität – politischer Zorn

Zu den auffallendsten Gestalten der jüngeren Lyrikautoren gehört der in Schwabach geborene, in Nürnberg lebende Gerhard Falkner. Bildliche Sensibilität verbindet Falkner mit sprachlicher Arbeit, körperliche Sinneserfahrung mit politischem Zorn.
Poetisch verlangt die Sehnsucht den „anbrechenden Morgen“, den durch Sprache zu begründenden Weltleib. „Grau“ ist Falkners Grundfarbe, „rauhzart“ ein für den Sprecher charakteristisches Oxymoron. Zeitkritisch spricht er, indem er die Tradition hören läßt und parodistisch abwandelt:

Wogegen ich nicht schweigen kann
dagegen laßt mich singen.

Sein erster Gedichtband So beginnen am Körper die Tage ist soeben erweitert in der Sammlung Luchterhand erschienen.
Falkners neuer Gedichtband Der Atem unter der Erde setzt Motti von Adorno bis Kafka, von Novalis und Bob Dylan, Hölderlin und Brentano. Falkner erinnert Epikur und Oedipus, Noah und die „anatomia melancholica“, das Sterntalermärchen und die mesopotamische Tontafel. Der gelernte Buchhändler kennt die Geschichte der Buchstaben und nutzt sie. Diese bildungsgesättigten Verse strotzen vor Vitalität. Falkner vergegenwärtigt individuelle Befindlichkeiten und kollektive Zustände. Er verbindet mit Reiseerfahrungen die Heimatfrage, erotische Stimmung mit feinsinniger Gedanklichkeit. „Atem“ ist eines der Schlüsselworte dieser Gedichte. „Herbst“ heißt die alt- und neudeutsche Jahreszeit.
Ein meisterliches „Concetto“ ist das Gedicht „Die Katze“. Es vergleicht in zwölf Zeilen den Abend, die Nacht, die Geliebte, die Erinnerung mit einer Katze. Das Bild der Katze evoziert eine erotische Begegnung und die Erinnerung an sie. Die Gedichtgruppe „Reisen, abnehmende Heimat“ spiegelt das aus James Joyce notierte Odysseus-Bewußtsein wider: Exil, Schweigen und List. „Wo wir wohnen wächst ein zorn nach helleren / orten, ungebeugten atemzügen / glück als gedächtnislücke gilt nicht mehr“, schreibt Falkner im Zyklus „Die Trauer zum Bösen“. Der umbrische Olivenbaum kontrastiert gegen die New Yorker Zerstörungsbilder. Jack Henry Abbott, Adoptivkind, später zweifacher Mörder, im Gefängnis Buchautor, wird in der amerikanischen „Haftmaschine“ zum „Atemhäftling“ und „Weltinsassen“: ein moderner „ecce homo“.
Falkner schreibt lyrische Kaltnadelradierungen und polemische Berichte. Manchmal schleust er leitartiklerische Ungetüme in seine Verse. Der Kampf zwischen poetischer Wahrnehmung und denunzierender Tendenz, zwischen dem Atem des Olivenbaums und der forcierten Sprache von „landeinwarts: geburtenrückgänge / wärmeverluste ans deutsche klima“, zwischen dem „atem unter der erde“ und den Zeitungsglossen über der Erde ist noch nicht entschieden. Den Reim setzt der Sprachspieler Falkner gewitzt, manchmal nachklappend ein: „Nein! nach solchen schrammen bleibt bloß eine leere kerbe / kein erbe“, kritisiert der satirische Prediger unseres „welt / bild(s)“. Die Abwandlungen von Redensarten wirken mitunter mehr platt als witzig.

Handle so, daß die maxime
deines treibens der tanz ist.

Oder die parodistische Umwandlung des bekannten Märchens in „Angst im Glück“. Aus Falkners Gedichten spricht die Anstrengung des Zorns. Unaufhebbar die „Melancholie“ des Dichters, überwindbar, „damit sie sich wendet: / diese trauer zum bösen“.

Paul Konrad Kurz, Bayerischer Rundfunk, 5.11.1984

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Alexander Bormann: Gerhard Falkner: der Atem unter der erde
Deutschlandfunk, 4.11.1984

Dominik Jost: Sinnwerte in Gedichten
Neue Zürcher Zeitung, 14.5.1984

Heinz Neidel: Abgespeist mit Rauch
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 13.5.1984

 

Gerhard Falkner – Ein Dichter im Gespräch mit Ludwig Graf Westarp. Über Berlin und die Bedeutung kunstspartenübergreifenden Arbeitens.

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Gregor Dotzauer: Seelenruhe mit Störfrequenzen
Der Tagesspiegel, 14.3.2021

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Falkner“.

 

Gerhard Falkner liest auf dem XI. International Poetry Festival von Medellín 2001.

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