RESUEMEE
die érsten ménschen sínd sind áuf dem mónd.
das ráumschiff áuf dem rúeckflug zúr zur érde.
erschúetterúngen áuf dem mónd mond érde.
heuhéute lándetdét apóllo mónd.
verlúste ín vietnám vietnámnam mónd.
kein énde dér der káempfe káemfe érde.
„papárasíten“ féstgenómmen érde.
krawáll krawáll bis mítternáchtnacht mónd.
publíkumsjúbel úm die „méistersínger“.
rilrílkeké-gefáehrtintín gestórben.
neunéues brótmuséum „méistersínger“.
ein „ nícht“ nicht féhlte féhlte féhlt gestórben.
arbéiter fánd den tód tod „méstersínger“.
das jáhr zweitáusend ím visír gestórben.
– Gerhard Rühm sammelt seine Poesie aus zwanzig Jahren. –
Zu einer Zeit, wo die Lyrik scheinbar noch blühte, in jenen Nachkriegsjahren, als eine Schwemme preziöser Genitivmetaphern durch die deutschen Gedichtbände brandete, Gottfried Benn über „Probleme der Lyrik“ sprach und es in jeder deutschen Stadt, die ein Gymnasium besaß, einige Oberprimaner gab, die sich für Benns Gedichte hätten in Stücke reißen lassen – zu jener Zeit waren sie in Wien schon am Werk, die Achleitner, Artmann, Bayer, Rühm und Oswald Wiener. Sozusagen am damals Aktuellen vorbei griffen sie zurück auf Traditionen von Sprache und Lyrik, die nicht zuletzt durch das Dritte Reich verschüttet worden waren: auf Arno Holz, auf die Wortkunst des Sturm-Kreises, auf Schwitters und den Dadaismus. Die Zukunft dessen, was bis heute noch „Gedicht“ heißt, sahen sie in Möglichkeiten, die Benn zum Beispiel in seinem Vortrag „Probleme der Lyrik“ nur skeptisch und am Rande erwähnte, im Lautgedicht, in Quasi-Gedichten aus Vokabelreihen und, mit einer seltsamen Volte, die allerdings nicht regressiv, sondern „experimentell“ zu verstehen ist, im Dialektgedicht.
Was damals im Untergrund des österreichischen und ganz am Rande des deutschen Literaturbetriebs lief und nur in – fast sektiererischen – kleinen Zirkeln gelesen und diskutiert wurde, füllt heute stattliche Gesamtausgaben; was noch immer nicht umfassend rezipiert wurde ist heute schon klassisch und historisch geworden: Heissenbüttels „Textbücher“ (die ja manches aus den fünfziger Jahren enthalten), Gomringers Konstellationen, Claus Bremers Poesie, Achleitners Prosa, Montagen und Dialektgedichte, Artmanns Gedichte aus 21 Jahren und die Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten der Wiener Gruppe. Nicht als ob da eine Seitenlinie der Lyrik sich verlaufen hätte, „Experimente“ „gescheitert“ wären – andere lyrische Spätlinge erlebten von vornherein nur eine Scheinblüte, wußten und wissen nur eben bis heute nicht, daß bestimmte poetische Sprechweisen unwiderruflich dahin sind. Aber eine Phase scheint zu Ende zu gehen, die Phase der „konkreten“, „avantgardistischen“, „experimentellen“ Poesie – wie immer sie auch rubriziert werden wird – scheint abgeschlossen zu sein; die diversen Sammelausgaben sind ein Indiz dafür.
Bezeichnend für die Arbeiten Gerhard Rühms aus den letzten zwanzig Jahren ist der große Umfang der Möglichkeiten, die Vielzahl der alten und neuen Gattungen, die er erkundete. Der Band mit seinen gesammelten Gedichten bringt Lautgedichte, Vokabulare, Dialektgedichte, Lautgedichte im Wiener Idiom, Textbilder und „dokumentarische“ Sonette – von den Thusnelda-Romanzen und den literarischen Chansons, die an anderer Stelle erschienen, aber in diesen Zusammenhang gehören würden, ganz zu schweigen. Rühm begann in den frühen fünfziger Jahren mit Lautgedichten, in denen von der Semantik abgesehen und allein die sprachliche Geste, die klangliche Expression als isoliertes Phänomen dargestellt wurde:
Uoaeif!
uoant!
uork!
uoaels!
ump!
Und wie er Klanggesten herstellte, das Gedicht auf Vokalbögen reduzierte, so suchte er in anderer Richtung danach, die Ausdruckskraft der Sprache durch das unvermittelte Nebeneinanderstellen einander ganz fremder Wörter unter Eliminierung aller Syntax wieder zu erweisen:
oper immi lama
fee kirgise resi
molekül sirenen
aurora schuhe beileid
schinken troubadur
silbenrätsel müll
kreide grog tschaikowsky
erbse feile eins
blei bier stern
Das ist kein „lyrisches“ Vokabular, das ist auch kein Gedicht, aber es realisiert einen Teilaspekt dessen, was einst „Gedicht“ hieß: das Einzelwort hat noch einmal die ganze Überraschungskraft, die ganze Bedeutungsschwere, die es in großer klassischer Lyrik hatte. Nur ist sozusagen nichts mehr dahinter, es ist pure verbale Oberfläche, Artistik, „Wortkunst“.
Der „Bedeutung“, den handfesten Inhalten wurde noch einmal Tür und Tor geöffnet, als Artmann, Achleitner und Rühm sich auf die Dialektpoesie warfen, als sie die Ausdrucksmöglichkeiten der Mundart noch einmal aktivierten, um sie unter den Auspizien von Surrealismus, schwarzem Humor und planmäßiger Provokation durchs Makabre zu einer letzten Blüte zu bringen. Die Gedichte bekamen durch die grellen, krassen, groben Themen aus dem Wiener Alltag noch einmal jene Substantialität, die die Lyrik verloren hat und die schon beinahe das Wort „Lyrik“ selbst zu einer feinsinnigen Peinlichkeit hat werden lassen.
Rühm hat der Dialektdichtung die deftigsten Effekte abgewonnen (Artmann mehr die im alten Sinn „poetischen“), indem er im „Selbstmörderkranz“ von 1955/56 in gut Wienerischer Tradition den Tod zum Generalthema machte und damit so etwas wie Lebensnähe und Plastizität erreichte:
Mia geds in da wöd
Zu oag zua
Drum hoob i a baggl
Schiassbuifa geschluggd
Und schbreng mi
In d ewiche rua
(Mir geht’s in der Welt / Zu arg zu / Drum hab ich ein Päckchen / Schießpulver geschluckt / und spreng mich / in die ewige Ruhe). Gerade durch die makabren, gewagten Themen und Motive hatte das noch einmal Saft und Kraft, doch künstlerisch avancierter sind eigentlich Rühms Dialekt-Lautgedichte, die nicht auf den blutigen Witz bauen, sondern das alltäglich mundartlich Gesprochene auf abstrakte Tonfälle reduzieren, auf Lautfolgen, die nichts sagen und dennoch unverkennbar wienerisch sind; man muß sich das breit und rüde intoniert denken, mit Verve prononciert:
gschleu moggn
desdei man
bauschn aung
graze glade bosd
schoggn kann
Und wie man bei solchen Gebilden akustisch-sprachmusikalische Phantasie mitbringen muß, um sie „abzuhorchen“, ihnen nachzulauschen, so setzt Rühm auf die visuelle Phantasie des Lesers, auf den Blick für Nuancen, wenn er „Textbilder“, Anordnungen von Buchstaben und Wörtern auf der Seite präsentiert. Ein Blatt, durch drei saubere vertikale Linien in vier weiße Felder unterteilt und mit dem einzigen säuberlich gedruckten Wort „winter“ im rechten Feld – das ist konkret-visuell der Winter, wo alles nur Schnee und ein paar schwarze Äste ist; das kann aber auch so ergänzt werden, daß in die drei anderen Felder von links nach rechts Frühling, Sommer und Herbst gehören, um die angetippte Reihe voll zu machen, und der Genuß liegt in der Verblüffung über „so wenig“ auf der Seite, das zugleich so vieles suggeriert.
Reichhaltig sind Rühms Beispiele für Konstellationen und Ideogramme; was er da erfand, ist variantenreicher als die relativ schmale Anzahl von Konstellations-Typen, die Gomringer realisierte. Das konsequenteste Produkt der „konkreten“ Wortkunst liegt allerdings sozusagen außerhalb der vorliegenden Sammlung; es ist Rühms konkretes Buch rhythmus r, wo die Konkretion bis ins Haptische zum Konstruktionsprinzip des Buches gemacht ist, wo nicht nur etwa von „Bart“ und „rasieren“ gesprochen wird, sondern dann auch ein Blatt zu fühlen ist, das – weil’s Sandpapier ist – so rauh ist wie ein unrasiertes Kinn. Ein Endpunkt der „konkreten“ Kunst, wie Rühms Zyklus von Dokumentarischen Sonetten wohl einen der Endpunkte der Sonettengeschichte markiert. Da wird ein ehrwürdiges poetisches Genre noch ein letztes Mal mit klapperndem Leben erfüllt, Reimschemata werden auf Teufelkommraus eingehalten und die Themen sogar höchst aktuell gewählt: was eben gerade in der Zeitung drin ist, wird gereimt:
Montag, 21.7.1969
Die ersten menschen sind auf dem mond
am sonntag, dem dem zwanzigstensten juli,
neunneunzehnhundertneunundsechzig, um
um einundzwanzig uhr uhr achtzehn um
sind sind die beidenden amerik- juli
kanischen astronauten neil neil juli
neil armstrong und und edwin aldrin um
an bord bord ihres raum raumschiffes um
um „adler“ auf dem mond gelandet juli.
in der geborgenheitheit ihrer lande-
dekapsel lagen etwa noch fünf stunden
vor ihnen bis bis sie als erste lande
bewohner des planeten erde stunden
den ihren fuss auf einen fremden lande-
de himmelkörper setzen sollten stunden.
Das ist ein dokumentarisches Sonett, das nicht nur die Mondlandung dokumentiert, sondern auch den Tod des Sonetts und den sprachkünstlerischen Witz dessen, der mit einigen anderen zusammen der Dichtung alten Stils ihr Hinscheiden dokumentierte.
Die konkrete Poesie geht aus von der Oberflächenstruktur der Sprache. Syntax und Semantik werden aufgebrochen, das tradierte Subjekt-Objekt-Prädikat-Schema wird weitgehend aufgegeben „zugunsten von sich öffnenden und verschleifenten neuen syntagmatischen Versuchen“, wie Helmut Heissenbüttel sagt. Typographie und lautliche Artikulation – traditionellerweise dienende Elemente – gewinnen Selbständigkeit, Sprache wird durchlässig hin zum Graphischen und Musikalischen, zum Visuellen und Akustischen: Grenzen werden überschritten. Dass die Sprache befreit wird von den Konventionen des Gebrauchs, dass Wörter als ästhetisches Material verwendet werden, hat zwar viel mit Spiel, wenig aber mit verantwortungsloser Spielerei zu tun: die „Experimente“ der konkreten Poesie sind Versuche, sich in einer veränderten Welt sprachlich neu zu orientieren.
Was einst in kleinen Zirkeln geschrieben wurde, füllt heute dickleibige Bände. Fast alle „Konkreten“ haben inzwischen grosse Verlage gefunden; die Zeit des Experiments scheint vorbei zu sein, und nun wird gesammelt, archiviert, textkritisch ediert. Der Rowohlt Verlag (Reinbek) hat sich besonders der Wiener Gruppe angenommen und, neben Einzelausgaben mit Texten von Achleitner, Bayer, Wiener und Rühm, 1967 einen Sammelband mit Gemeinschaftsarbeiten dieser Gruppe verlegt. Der Herausgeber dieses Buches, Gerhard Rühm, konnte 1968 bei Rowohlt einen eigenen umfangreichen Band unter dem Titel fenster veröffentlichen, ein Buch, in dem Texte gesammelt sind, die nach herkömmlicher Gattungsbezeichnung eher der Prosa zuzurechnen wären. Nun folgt, wieder bei Rowohlt, ein zweiter Band von Gerhard Rühm Gesammelte Gedichte und visuelle Texte.
Dieses Buch mit Arbeiten aus den Jahren zwischen 1962 und 1969 zeigt, dass Rühm zu den eifrigsten und einfallsreichsten Sprach-Experimenitatoren gehört. Er hat sich auf keine Methode festgelegt, hat immer neue Ausdrucksmöglichkeiten erprobt, sich nie mit dem einmal Gefundenen zufriedengegeben und es dann zu einer Masche gemacht.
Rühm begann, nach kompositorischen Versuchen, mit Lautgedichten, Vokal- und Konsonantenreihungen, deren ironisch-kritischer Impetus unübersehbar ist, die allerdings für den Vortrag bestimmt sind und in der schriftlichen Notation nicht recht zur Geltung kommen können. Ueber „Vokabulare“ – Konstellationen von Einzelwörtern aus heterogensten Bereichen – und die sogenannte „coole poesie“ mit ihren Dadaismen kam Rühm zur Wiener Dialektdichtung, zu der er wohl nicht weniger beigetragen hat, als der berühmter gewordene H.C. Artmann. Hier wird der traditionellen Poesie durch Einbeziehung des Dialekts noch einmal neues Blut zugeführt, gleichzeitig aber wird auch provokativ die alte Mundartpoesie sentimental-heimattümelnder Art ironisch ad absurdum geführt:
dar wein dar wein dar wein
dar wein dar wein dar wein
sunsd foed ma goa nix ein
Später dann entdeckte Rühm die Möglichkeiten, die der Dialekt für die experimentelle Lautpoesie bot: Sprache öffnet sich ins Akustisch-Musikalische. In Konstellationen, Ideogrammen und Textbildern dann wird die Grenze hin zum Visuellen überschritten, die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Schrift werden erprobt.
Den Schluss dieser Textsammlung bilden die sogenannten „dokumentarischen sonette“, in denen Rühm in Tageszeitungen vorgefundenes Material aktueller Berichterstattung in die Form von Sonetten fasst, besser: presst. Denn mit Gewalt wird hier das Sonett-Schema aufgefüllt, Sprache wird in das Prokrustesbett einer vorgegebenen Form gezwungen. Kein Zweifel: damit soll der Form des Sonetts der Leichenstein gesetzt werden. Nun muss eine solche Form-Parodie ja nicht unbedingt ein schlagendes Argument gegen diese Form sein. Aber immerhin fällt es schwer, nach diesen „dokumentarischen Sonetten“ nun neue Sonette noch ganz ernst zu nehmen (wohlgemerkt Sonette, die heute geschrieben würden).
Ossip Ottersleben: Gesammelte Gedichte und visuelle Texte
das pult, Heft 6, 1970
Rüdiger Engerth: Von der Anwendung der Zeichen
Die Furche, 24.10.1970
Karlheinz Roschitz: Dialektdichter und Esoteriker
Wort und Wahrheit, 1971
O. N.: Ausgelaugte Strukturen
Kleine Zeitung, 27.3.1971
Thomas Rothschild: Konkretes von einem jungen Ahnherrn
Stuttgarter Zeitung, 3.4.1971
Heinrich Vormweg: Artistische Spiele mit Lauten und Silben
Kölner Stadt-Anzeiger, 19.2.1972
Gott schütze Österreich. Lesungen, Performances, Montagen: H.C. Artmann, Diana Brus, Aloisius Schnedel, Jodik Blabik, Alexander, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Günter Brus, Wolfgang Bauer, Gerhard Rühm, Hermann Nitsch. Aufnahmen für die Quartplatten des Klaus Wagenbach Verlages um 1974.
Jörg Drews: Laudatio auf Gerhard Rühm zum Alice-Salomon-Poetik-Preis 2007
Thomas Eder und Paul Pechmann sprechen über die Sprachkunst von Gerhard Rühm. Dieser liest und Annalena Stabauer moderiert am 5.10.2023 in der Alten Schmiede Wien.
Michael Lentz: Spiel ist Ernst, und Ernst ist Spiel
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.2010
Paul Jandl: Dem Dichter Gerhard Rühm zum 80. Geburtstag
Die Welt, 12.2.2010
Apa: „Die Mutter der Wiener Gruppe“
Salzburger Nachrichten, 12.2.2015
Peter Grubmüller: Der musizierende Literatur-Maler
OÖNachrichten, 12.2.2020
Daniela Strigl: Opernmörder
Süddeutsche Zeitung, 11.2.2020
Ronald Pohl: Gerhard Rühm zum Neunziger
derStandart, 12.2.2020
Doris Glaser und Peter Klein: „Der Herr der Laute“
radio.friendsofalan.de, 9.2.2020
Gerhard Rühm liest seine seufzer prozession am 10.11.2009 in der Alten Schmiede zu Wien.
Gerhard Rühm und Monika Lichtenfeld lesen unter anderem Sprechduette beim Literaturfestival Sprachsalz im Parkhotel bei Hall in Tirol (10.–12.9.2010)
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